Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
BruttosozialproduktMecklenburg-Vorpommerns im Vergleich zu allen anderen Bundesländern
einen viel höheren Stellenwert. So positiv es zunächst klingt, so offenbart es auch, dass in anderen Wirtschaftsbereichen einfach zu wenig verdient
wird. In einem Urlaubsland werden viele Menschen nur für die Saison eingestellt. In der übrigen Zeit sind sie ohne Job, geben kaum etwas aus und belasten
die öffentlichen Kassen. Selbst bei Festanstellung verdient ein Arbeitnehmer der Gastronomie deutlich weniger als einer, der in der Automobilindustrie
beschäftigt ist. Deshalb ist die heimische Kaufkraft im Bundesdurchschnitt auch so miserabel. Um wenigstens die saisonalen Schwankungen in der
Gastwirtschaft auszugleichen, wirbt das Land darum, auch in der kalten Jahreszeit besucht zu werden. Zudem möchte man sich ausländischen Gästen zu
erkennen geben, denn für die ist Mecklenburg-Vorpommern ein weißer Fleck auf der Landkarte. In Warnemünde landen zwar immer mehr Kreuzfahrer, die auf
einen Schlag ein paar Tausend Amerikaner an Land setzen. Die in großen Dimensionen denkenden Überseereisenden halten die 200 Kilometer bis Berlin jedoch
für eine logische Distanz bis ins Stadtzentrum, in das sie dann auch gefahren werden. Tür auf. Brandenburger Tor. Klick. Reichstag. Klick. Berliner
Mauer. Klick. Tür zu. Ab aufs Sonnendeck. Das ist ein wenig wie bezahlter Sex.
Mecklenburg-Vorpommern gleicht da eher einer stillen Angebeteten, der man sich behutsam nähern sollte. Keine historischen Schwergewichte, keine lauten
Vergnügungsmeilen, eher reizvolle Landschaften machen die Region einzigartig. Deutsche Touristen wissen das auch. Deshalb ringt man mit Bayern seit Jahren
um die Spitzenposition in der Disziplin der meistenGästeübernachtungen. Ein Zweikampf, der gern geführt wird, spielt er sich doch
ausnahmsweise mal im oberen Teil einer Tabelle ab. Große Hoffnungen setzt man hier in die Gesundheitswirtschaft. Man rühmt sich einer
Qualitätsführerschaft und der modernen Infrastruktur. Aktive Erholung, Reha, Bäder, Wellness, Kliniken, Medizintechnik – und alles in dem Bundesgebiet,
in dem fünf der sechs Orte mit den meisten Sonnenstunden Deutschlands liegen. Knapp jeder neunte Erwerbstätige arbeitet bereits in der Branche, die
körperliche und seelische Defizite lindern soll, Tendenz steigend. Globalisierung wie Informationszeitalter scheinen dafür zu sorgen, dass sich die
Menschen zunehmend nach Dingen sehnen, die nicht lärmen und blinken, sondern vielmehr Stress abbauen. Sie zieht es zum Ursprünglichen, zur guten Luft und
zum satten Grün. Statt der E-Mail-Benachrichtigung soll allenfalls die Angelpose mal hier und da im Blickfeld erscheinen.
Trotz der Aussicht, das Florida Deutschlands zu werden, schauen die zuständigen Ministerien und Institutionen im Lande auch in andere
Richtungen. Wachstumsbranchen werden ausgerufen, Investitionen gefördert. Lebensmittelindustrie, Maschinenbau, Metall-, Informations- und
Kommunikationsindustrie sowie Transport und Logistik, Biotechnologie und Medizintechnik sind solche Hoffnungsträger, die sich um die Idylle schmiegen
sollen. Alles gemessenen Schrittes, versteht sich. Für ein hohes Tempo fehlten dem Land schon immer die Mittel. Aber vielleicht ist diese Behutsamkeit ja
langfristig ein Vorteil und es gelingt dank seiner natürlichen Reize, die Region zu einem Tummelplatz für Mediziner, Biologen und Pharmazeuten zu
machen. Erste Erfolge sind sicher schon zu erkennen, dennoch verknüpft sich außerlandes das WortBiotechnologie nicht unweigerlich mit
Greifswald oder Rostock. Vielmehr verbindet man Deutschlands Nordosten weiterhin eher mit der maritimen Industrie, wenngleich deren Bedeutung seit dem
Zusammenbruch der DDR gesunken ist. Immerhin arbeiten aber noch zehntausende Menschen im Schiff-, Boots- und Yachtbau oder bei Zulieferern der Häfen und
Werften. Sie tun das mit einer bewundernswerten Halsstarrigkeit und trotzen der globalen Konkurrenz. Über derart einflussreiche Lobbyisten wie die
Automobil-, Montan- oder Energieindustrie verfügt diese Branche bei Weitem nicht. Stellenabbau, Standortschließungen und Betreiberwechsel treffen die
Region oft hart, werden von überregionalen Politikern und Medien aber vergleichsweise wenig beachtet.
Übrigens, sollten Sie mal mit einem Flugzeug über Mecklenburg-Vorpommern in Not geraten und mit dem Fallschirm abspringen, ist die
Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass Sie auf
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