Mecklenburg-Vorpommern. Anleitung für Ausspanner
imitieren, da übernahmen sie auch gleich die Idee der Allee: Die Bäume rechts und links vom Straßenrand sollten Schutz bieten – und Orientierung, falls
Fuhrwerke den Feldweg zu verfehlen drohten. Mehr als 4 000 Kilometer Alleen allein in MV kamen so zusammen. Fans dieser Gattung haben ausgerechnet, dass
man, sämtliche derartige Wege und Straßen des Landes gerade hintereinander verlegt, auf mecklenburg-vorpommerschen Alleen von Lissabon nach Moskau
lustwandeln könnte.
Oder eben mit dem Auto fahren. Wobei sich immer wieder herausstellt, dass die lauschig angelegten Straßen für heutige Verhältnisse völlig
unterdimensioniert sind. Im Klartext heißt das: Viele der Alleebäume stehen viel zu dicht an der Asphaltpiste – und werden entsprechend in
Mitleidenschaft gezogen. Wobei Kollisionen mit Autos wohl die geringsten Schäden verursachen. Schlimmer sind Schadstoffe wie Lauge oder Streusalz. 250
Jahre lang stehen die Bäume am Wegesrand. Und dann kommt der Winterdienst.
Einigermaßen in Ordnung ist die Welt noch auf Rügen, wo besonders viele baumgesäumte Wege anzutreffen sind. Dort beginnt auch die Deutsche
Alleenstraße, die von der Insel direkt zum Bodensee führt. Der Grund,warum es ausgerechnet in MV und überhaupt in den östlichen
Bundesländern so viele Straßen dieser Art gibt, ist schnell ausgemacht: Während im Westen im Sinne des aufkommenden Individualverkehrs kräftig abgeholzt
wurde, blieben im Osten die Bäume stehen. Autos gab es nicht allzu viele, und sowieso fehlte es an Geld. Gleich nach der Wende haben die Naturschützer gut
aufgepasst und waren schneller als die Tiefbauämter: In MV ist der Schutz der Alleen per Gesetz geregelt.
Wer Straßen hat, braucht auch Autos, die darauf fahren. Beinahe wäre sogar Mecklenburg-Vorpommern die Heimat der Automobilentwicklung
geworden. Verursacher war Siegfried Marcus aus der Stadt Malchin. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er allerdings in Wien, wo ihm auch ein Denkmal
als »Erfinder des Automobils« gesetzt wurde. Die angegebene Jahreszahl 1866 stimmt zwar nicht, aber immerhin war Marcus 1870 nachweislich mit einem
benzinbetriebenen Fahrzeug unterwegs. In Schrittgeschwindigkeit. Die Malchiner ehren ihren mecklenburgischen Rudolf Benz als größten Sohn der Stadt und
zeigen im Museum einige der Prototypen, die Marcus erfand.
Siegfried Marcus hätte sicherlich seine Freude an den modernen Pisten in seiner alten Heimat – immerhin liegt Malchin nicht weit von
der A 19 entfernt. Und doch begegnen sie einem immer wieder – die Ausgeburten realsozialistischer Flickschusterei, an der sich allenfalls die Schotten
mit Hang zu Patchwork-Mustern Hände und Füße wärmen.
Es gibt aber auch Straßen in MV, die niemals Probleme mit dem Belag bekommen, geschweige denn mitangrenzenden Bäumen. Straßen, auf
denen man seit Kurzem sogar oft ohne Führerschein hinters Steuer darf. Knappe Einführung genügt, Motor an, losfahren. Zugegebenermaßen geht es beim Lenken
ohne Lappen nicht schneller zur Sache als in gehobener Schrittgeschwindigkeit: Die Rede ist von Flößen und voluminösen Freizeitkähnen, die man sich mieten
kann, um dann auf den Wasserstraßen der Mecklenburger Seenplatte mit einer Art schwimmender Schrankwand herumzuschippern.
In MV darf jeder mal Skipper sein. Nicht jedem bekommt das, aber die Touristiker drücken bei den Freizeitkapitänen ein Auge zu. Normalerweise muss man
nämlich eine Art Wasser-Fahrerlaubnis erlangen, auch wenn man sich nur auf Binnengewässern herumtreiben will. Nennenswerte Unfälle hat es offenbar noch
nicht gegeben. Schließlich haben die Motoren an diesen schwimmenden Bungalows in der Regel gerade einmal fünf PS. Selbst wenn man todesmutig volle Kraft
voraus gegen den Steg heizt, kommt hinten nicht mehr als ein freundschaftlicher Schubser an.
Was banal klingt, findet regen Zulauf. Noch bis vor wenigen Jahren war man mit einem motorisierten Floß samt kleiner Kajüte auf den verplankten
Kunststoffschwimmkörpern ein Exot und an jeder Schleuse ein willkommenes Fotomotiv. Heute ziehen Flotten dieser Gefährte über die malerischen Gewässer der
Mecklenburger Seenplatte und man muss Monate im Voraus buchen.
Da hilft nur: Umsatteln. Wer auf Flora und Fauna der Seenplatte nicht verzichten möchte, kommt mit Kanu oder Paddelboot sogar noch
besser voran als mit den sperrigen Lustkähnen. Auf den teils recht großen Seen hat man ganz schön zu ackern, aber die
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