Mecklenburger Winter
dich da.“
„Ich weiß“, flüsterte Leon, eine feuchte Spur rann ihm aus dem Augenwinkel. Er schien es nicht zu bemerken. „Danke, Kai.“ Viel zu eilig wandte er sich um. Es klang verflucht nach Abschied!
Kai bemerkte sehr wohl, dass Leon nicht zum Wohnhaus, sondern zum Pferdestall hinüber ging.
Ob er wohl zu seiner Bella geht, ihr alles erzählt? Kai wünschte sich sehnsüchtig einen Zeitumkehrer, wollte alles ungeschehen machen. Wenn ich nur weniger ungeduldig gewesen wäre,mich ein wenig mehr beherrscht hätte … Zu spät. Alles zu spät. Nichts ließ sich ungeschehen machen.
„Bis dann“, flüsterte er und startete das Auto. Er würde Leon anrufen, er würde mit ihm telefonieren. Vielleicht brauchte dieser nur ein wenig Zeit zum Nachdenken, vielleicht konnte er alles wieder geradebiegen. Dieses Rennen war noch nicht vorbei, auch wenn Kai einen typischen, unnötigen Anfängerfehler begangen hatte.
Das war dann wohl ein klassischer positiv Split, dachte er ärgerlich. Jeder Idiot von Marathonläufer weiß, dass er nicht die erste Hälfte des Rennens zu viel Tempo machen darf. Negativ Split, ist das Siegerkonzept. Kais Herz hämmerte die Wörter in seinen Kopf. Du erklärst es in jedem Wettkampfplan: Die letzte Hälfte des Rennens wird das Tempo gemacht. Was für ein Athlet bist du, der die wichtigsten Marathonregeln nicht selbst umsetzen kann?
Wie in Trance fuhr Kai nachhause, die Gedanken umkreisten ständig jene Augenblicke im Studio in denen er Leon so nah gewesen war, in denen er sich glücklich und am Ziel gewähnt hatte. Dabei hatte er völlig aus den Augen verloren, dass er noch immer mitten im Rennen war und noch weit vom Ziel entfernt.
Das Wochenende kam und wollte kaum vergehen. Kai stürzte sich in Arbeit, bestrebt, seinen Fehler durch möglichst präzise Trainings- und Wettkampfpläne, eine besonders individuelle Beratung seiner Kunden auszugleichen. Zudem verausgabte er sich in den harten Trainingseinheiten bis zur Erschöpfung, versuchte durchaus bewusst, vor dem dumpfen Schmerz in seiner Brust davonzulaufen. Natürlich erfolglos.
Leon hatte auf seine erste fröhliche SMS geantwortet. Eine nichtssagende Antwort, die von jedem Fremden hätte stammen können. Ans Telefon ging er hingegen nicht, als ihn Kai abends anrief.
Das Wetter besserte sich von Tag zu Tag und, außer in den kalten Nächten, in denen der Winter mit eisiger Faust regierte, verlor dieser immer mehr an Boden und den Kampf gegen den Frühling. Die Luft roch frisch, Vögel wagten erste Triumphgesänge und unter dem tauenden Schnee lugten Krokusse und Schneeglöckchen hervor. Kai hätte die Zeit durchaus genossen, wenn er nicht dauernd an Leon hätte denken müssen.
Angie hatte er nur wenig erzählt. Sie war schlau genug, nicht weiter nachzubohren. Er erntete ab und an einen nachdenklichen Blick von ihr, ansonsten schwieg sie zum Thema Leon.
Der Donnerstag rückte näher und außer ein paar SMS hatte Kai keinen Kontakt zu ihm gehabt. Leon hatte geschrieben, dass er nicht wüsste, ob er zum Training kommen konnte, auf dem Hof sei zu viel zu tun. Dennoch hoffte Kai bis zur letzten Viertelstunde vor Ende, dass er noch auftauchen würde.
Er kam nicht und Kai verbrachte einen weiteren Abend grübelnd und voll Selbstvorwürfen. Mehrmals war er drauf und dran, zum Hof zu fahren, sich Leon zu schnappen und ihn, seinetwegen auch auf den Knien, um Verzeihung zu bitten. Nur hätte er damit für diesen wohl alles nur schlimmer gemacht.
Die folgenden Abende wurden nur durch lange Telefonate mit Basti und Lars aufgelockert. Es war einfach mit den beiden zu telefonieren, er musste nur ihrem Schlagabtausch zuhören, ab und an ein „Ja“ einwerfen, das Thema Training und Wettkämpfe war immer unerschöpflich. Endlich konnten sie wieder Pläne schmieden, jetzt wo der Frühling eindeutig näherkam. Basti war es, der sich zwischendrin nach Leon erkundigte und Kai schaffte es, relativ neutral von dem Turnier zu erzählen. Wie zu erwarten kamen ein paar dumme Sprüche, doch Kai überhörte sie geflissentlich.
Samstag meldete sich Leon mit einer kurzen SMS, in der er sein Bedauern kundtat, nicht zum Training gekommen zu sein und sich auch am Wochenende nicht mit Kai treffen zu können. Obwohl die Worte harmlos aussahen, vermeinte Kai mehr dahinter zu sehen.
Kapiere es, er will nichts mehr mit dir zu tun haben. Er will sich nicht mehr mit dir treffen, hat keine Zeit für dich: Er hat schlichtweg kein Interesse mehr. Vielleicht
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