Mecklenburger Winter
nahm Leon seine Sachen und verschwand im Schlafzimmer. Kai biss sich in die Faust, bis er alle unzüchtigen Ideen aus seinem Kopf bekommen hatte. Was Leon fehlte, war ein bisschen mehr Bestätigung. Kai kam spontan eine Idee. Ja, das war es, wenn er Leon überreden konnte, hieß das. So wie der gerade auf seinen Vater zu sprechen war, wäre er der Idee vielleicht nicht einmal abgeneigt. Abwarten, ermahnt sich Kai.
Er verschwieg sein Vorhaben, den Rest ihres gemeinsamen Vormittags, schwieg, während sie in Leons Auto zum Studio fuhren. Leon hatte es sich nicht nehmen lassen, Kai dieses Mal zu fahren und nutzte die Gelegenheit, ebenfalls zu trainieren. Wohlwollend bemerkte Kai, dass er vornehmlich das Laufband und Rad nutzte. Er ging Angie zur Hand, redete und lachte mit ihr so offen, wie nie zuvor.
Es wurde recht spät und Kais schlechtes Gewissen wuchs. Hoffentlich bekam Leon daheim nicht wirklich gewaltigen Ärger. Achtzehn hin oder her, er wohnte noch zuhause und sein Vater musste vor Wut kochen, wenn er ihn einen ganzen Tag im Stich ließ. Andererseits … geschieht ihm recht, Arschloch!
Erst als sie am Abend zu ihm fuhren, wurde Leon stiller. Ob er seinen Mut schon bereute? Was würde ihn zuhause erwarten? Nun, wo er keine Bella mehr hatte, zu der er sich flüchten konnte? Kai biss sich auf die Unterlippe, kaute unentschlossen darauf herum. Er hatte vorhin mit Susanne telefoniert, die – erwartungsgemäß – sehr angetan von seiner Idee war und versprochen hatte, Christel zu fragen. Kurz bevor sie das Studio verlassen hatten, hatte sie ihm die Telefonnummer gesmst und bestätigt, dass es okay gehen würde. Jetzt musste er Leon nur noch davon erzählen.
„Wenn du dieses Wochenende nichts vorhast ...“, begann Kai zögernd, als sie Hagenow erreichten, „wie wäre es mit einem Trip nach Hamburg mit mir? Susannes Freundin Christel hat dich und mich zu sich auf ihren Hof eingeladen und du wolltest ihre Pferde doch eh mal kennenlernen?“ Verstohlen schluckte Kai, warf Leon von der Seite einen Blick zu. Es war nicht zu erkennen, wie Leon die Information aufnahm.
„Ich … weiß nicht“, antwortete er leise. „Vater wird ohnehin stinksauer sein, dass ich heute nicht da war.“ Gleich darauf verzog er das Gesicht. „Ach scheiß drauf, was er dazu sagt. Er hat mich ja auch nicht gefragt, ob es okay ist, Bella zu verkaufen. Soll er doch sehen, wie er ohne mich klarkommt.“ Eine klare Kampfansage. Leon reckte das Kinn vor. „Wir machen das. Wir können mit meinem Auto fahren. Wann soll ich dich abholen?“
Kai fiel ein Erzgebirge vom Herzen. Ihm gefiel der rebellische Leon, der hatte Feuer. Da konnte was daraus werden.
„Okay, Samstagmorgen geht es los. Du fährst und ich bezahle den Sprit. Deal?“ Er hielt Leon seine Hand hin, der ohne zu zögern einschlug. „Deal. Wir fahren nach Hamburg. Da war ich noch nie.“
35 Wir erobern Hamburg
Es fiel Leon schwer, zu gehen. Vermutlich meldete sich sein schlechtes Gewissen immer lauter und die Furcht vor der Reaktion seines Vaters trug mit dazu bei, dass er seinen Aufbruch hinauszögerte.
Kai hasste es, konnte sich nicht leiden, dass er in diese Rolle schlüpfen musste, dennoch schob er Leon, der an ihn gelehnt auf der Couch saß, von sich und sah ihn ernst an.
„Es wird nicht besser oder leichter, wenn du es hinauszögerst.“ Er kam sich unfair erwachsen vor. Vernünftig. Schrecklich vernünftig. Er hätte sich selbst die Zunge rausgestreckt, wenn er Leon gewesen wäre. Nicht so Leon. Dieser maß ihn mit einem langen Blick und senkte den Kopf. „Ich weiß. Ich habe nur überhaupt keine Lust, mit ihm zu streiten. Er wird mich wieder beschimpfen und fertigmachen, dabei ist er es doch, der mir meine Bella genommen hat.“ Verstohlen wischte sich Leon über die Augen. „Dauernd hackt er auf mir rum, nichts kann ich ihm recht machen.
„Er ist aber auch stolz auf dich.“ Kai schluckte. Er fand seine Worte falsch, wollte ungern etwas Gutes über Burghardt sagen, oder gar dessen Verhalten rechtfertigen. Andererseits musste Leon zurück in die Höhle, oder eher Hölle des Löwen. Ein gewaltiger Streit, der womöglich mit einem heulenden Leon und seinem Auszug enden würde, erschien Kai in gewisser Hinsicht durchaus reizvoll.
Ich könnte ihn trösten und hier kann er wunderbar unterkommen, träumte er für einen Moment, rief sich jedoch gleich zur Ordnung. Nein. Das war bestimmt keine gute Grundlage für eine dauerhaft funktionierende Beziehung.
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