Mecklenburger Winter
Kai gespielt empört. „Ich kann mich selbst verteidigen und vergiss nicht: Ich kann schnell rennen.“ Leons Lächeln tauchte wieder auf, vertrieb den Ernst in seinen Augen hingegen nicht. „Es reicht, wenn er mich durch den Fleischwolf dreht“, murmelte er und zuckte die Schultern. „Im Grunde bin ich es ja gewöhnt. Und Mutter weiß Bescheid. Ich habe ihr gesagt, wo ich bin und sie meinte, sie redet mit ihm. Manchmal hört er auf sie. Vielleicht hat sie es schon getan und er macht nicht so einen Riesenwirbel.“ Hoffnungsvoll ließ er den Satz ausklingen.
„Ich rufe dich später an, so gegen 22 Uhr, okay?“, gab ihm Kai mit auf den Weg. Leon grinste schief. „Wenn ich noch telefonieren kann“, murmelte er und Kai ergriff ihn fest am Arm, drehte ihn zu sich herum und küsste ihn hart. Sein Lächeln war breit und er hoffte nur, dass er seine echte Sorge hinter einem flapsigen Spruch verbergen konnte. Mit leicht quietschender Stimme und einem näselnden Tonfall tat er so, als ob er telefonieren würde.
„Oh, schönen guten Abend, ich wollte den Leon sprechen … Oh, der kann nicht mit mir sprechen? Sein Vater hat Hackfleisch aus ihm gemacht? Nun gut, dann geben Sie mir doch einfach die Frikadelle.“ Leon lachte glucksend auf und Kai zwinkerte ihm zu, zog ihn zum letzen - wirklich zum letzten Mal, für heute zumindest – in eine Umarmung und drückte ihn an sich. „Du packst das schon und denk an Hamburg. Das Wochenende wird ganz klasse. Wenn dir dein Vater da einen Strich durch die Rechnung macht, komme ich trotzdem und kidnappe dich.“ Leon nickte, riss sich regelrecht von Kai los und öffnete hastig die Tür. Erst auf der Treppenstufe machte er kehrt und sah zu Kai hoch. Die Schluckbewegung unter seinem Schal war lediglich zu erahnen.
„Danke für den genialen Tag.“ Er wartete keine Antwort ab, sondern eilte zu seinem Auto. Kai schluckte kaum weniger hart und blinzelte. Er blieb so lange in der frostigen Luft stehen, bis die Rücklichter von Leons Auto verschwunden waren. Fröstelnd zog er die Tür zu. Alles Gute, Kleiner.
Es dauerte ewig, bis die Uhr sich erbarmte, die herbeigesehnte Zeit anzeigte und Kai endlich Leon anrufen konnte. Schon Minuten vorher hatte sein Finger auf der Taste gelegen, während er unruhig durch seine Wohnung lief und sich Horrorszenarien ausmalte. Er hätte ihn doch begleiten sollen. Leon alleine gegen seinen Vater war eine total unfaire Konstellation. Mit angehaltenem Atem kaute er nervös auf seiner Unterlippe herum, als das Telefon klingelte. Es dauerte nur einen Moment, der sich endlos hinzog, bis Leon abnahm und sich mit den Worten meldete: „Erstaunlich aber wahr: Ich lebe noch.“
Kai atmete viel zu laut erleichtert aus und Leon quittierte mit einem verhaltenen Lachen. „Oh Mann, Kai, hast du dir echt solche Sorgen gemacht?“
„Was denkst du denn?“, schnaubte dieser ein wenig verstimmt. „Ich traue deinem Vater einiges zu.“ Seufzend lehnte sich Kai an die Wand. Leon lebte und schien einigermaßen gut drauf zu sein. Immerhin etwas. „Es ist schön, deine Stimme zu hören. Wie lief es denn?“ Leon schwieg einen Moment und es raschelte. Vermutlich lag er bereits im Bett.
„Naja, er war natürlich ziemlich angepisst und ist auch lauter geworden, aber meine Mutter hatte wohl mit ihm geredet, denn er ist erstaunlich ruhig geblieben. Vielleicht tat ihm die Sache mit … Bella nun auch leid. Auf jeden Fall meinte er, das geht gar nicht, dass ich einfach so wegbleibe und wenigstens muss ich ihm Bescheid geben. Naja ...“ Leon holte tief Luft. „Oh Mann, Kai, der hat vielleicht geguckt, als ich einfach stehengeblieben bin und gesagt habe, ich bin achtzehn und volljährig und darf entscheiden, wo ich über Nacht bleibe. Damit hat er gar nicht gerechnet. Er wollte mich anschreien, aber da ist meine Mutter reingekommen und er hat sich echt beherrscht.“ Glucksend lachte er auf. Es klang erleichtert und Kai entließ ebenfalls die Luft, ließ sich an der Wand hinabrutschen. Sieh an, der Kleine ist wirklich erwachsener geworden und zeigt Rückgrat. Das dürfte für seinen Erzeuger schwer zu verkraften sein.
„Und wegen Hamburg ...“ Kai sog misstrauisch die Luft ein und begrub all seine tollen Pläne. Vermutlich hatte Burghardt es nicht erlaubt. Er konnte kaum damit einverstanden sein, dass Leon das ganze Wochenende weg sein würde. Kälte kroch Kais Rückgrat hoch.
„Er hat ganz schön rumgemeckert“, meinte Leon und seufzte, „aber er hat es
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