Mecklenburger Winter
würden sie auch noch einmal eine halbe Stunde brauchen und es würde früh dunkel werden, also sollte dieser verflixte Faulpelz besser aufstehen. Kai wollte sich von ihm seinen perfekten Leon-Tag nicht verderben lassen.
Es dauerte weitere Minuten, bis sich die Tür öffnete und ein eindeutig übernächtigt aussehender Dirk mit wild abstehenden roten Haaren ihnen müde entgegentrat.
„Oh hallo.“ Er gähnte. „Ich hatte noch nicht mit euch gerechnet. Ist ein bisschen spät geworden gestern.“ Verhalten gähnte er und winkte sie herein. Er trug eine schlabberige Jogginghose und ein verkehrt herum angezogenes schwarzes T-Shirt, welches er sich wohl notdürftig übergestreift hatte. „Hast du mein Auto heil gelassen?“, warf er Kai über die Schulter zu. „Aber klar“, schnaubte dieser. „Ich war sogar in der Waschstraße damit. Es glänzt jetzt mehr als vorher.“
„Na dann ist ja gut“, gab Dirk zurück. „Schön, dass du drauf aufgepasst hast. Hier hätte es eh nur dumm rumgestanden und ich war echt ganz froh, dich nicht in irgendwelchen einsamen mecklenburgischen Gräben zu wissen, weil dich der Wind wieder einmal davongepustet hat. So ein Winter. Furchtbar.“
„Ich muss sagen, ich war auch heilfroh und bin dir bis ans Ende aller Tage dankbar dafür“, erklärte Kai. „Mehr als eine Schneewehe musste es echt nicht sein.“ Verstohlen zwinkerte er Leon zu, dessen Mund zuckte. So, wie Leon gerade sein Grinsen unterdrückte, erinnerte er sich sehr gut an ihre erste Begegnung. Ein toller Anblick: zappelnde Beine inmitten eines grauen Schneeberges. Wie romantisch ihr erstes Kennenlernen im Schnee doch gewesen war.
Dirk wies ihnen den Weg ins Wohnzimmer und erklärte, er müsse was anziehen. Beide lehnten sein Angebot einer Tasse Kaffee ab und Dirk schlurfte die Treppe nach oben, nachdem er die Kaffeemaschine für sich angestellt hatte.
Leon besah sich neugierig die Fotos an den Wänden im Flur. Dirk hatte Bilder von Australien aufgehängt, vornehmlich Landschaftsaufnahmen.
„Beeindruckend. Der ist echt verdammt gut, nicht wahr?“, meinte er und ging von einem zum anderen. „Diese Farben sind so toll, und wie er das Licht eingefangen hat, einfach genial.“ Kai nickte und folgte ihm in das geräumige Wohnzimmer. Von früheren Besuchen her wusste er, dass Dirk hier seine speziellen Bilder aufgehängt hatte. Diese waren teilweise sehr explizit und er wusste nicht recht, was Leon dazu sagen würde. Es konnte spannend werden.
Dieser stockte auch prompt, als sein Blick auf das erste Foto fiel. Vielleicht bildete Kai es sich ein, aber nachdem Leon erkannt hatte, was wirklich dort drauf zu sehen war, schienen sich seine Wangen leicht zu verfärben.
„Solche Fotos liebt Dirk“, erklärte Kai leise und betrachtete das schwarzweiße Foto. „Man erkennt erst auf den zweiten Blick, um was es sich wirklich handelt.“ Oder auch auf den dritten. Wie die Blütenblätter einer Rose öffneten sich vier Hände um einen Stempel in ihrer Mitte. Der allerdings keiner war. Zumindest kein Blütenstempel. Und Kai kannte keinen Mann, der sein bestes Stück als solchen bezeichnen würde.
„Krass“, kommentierte Leon, nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte, und näherte sich bedeutend vorsichtiger dem nächsten Bild. Eindeutig, seine Wangen waren rot angelaufen. Kai hätte gerne unmännlich aufgequietscht. Leon wirkte herrlich jung, wie er mit großen Augen auf Dirks Bilder starrte und vermutlich darüber nachdachte, wie sie entstanden sein könnten.
Von dem dritten wandte er sich recht hastig ab. Das Model auf dem sehr dunklen Bild war kaum zu erkennen. Lediglich etwas von seinem Rücken, dem Hintern und die langen Beine waren leicht ausgeleuchtet. Dafür konnte man sehr gut erahnen, was, hell ausgeleuchtet, zwischen seinen Beinen hing.
Grinsend beobachtete Kai Leon, dem dieser Anblick offenbar doch etwas zu gewagt war. Er verkniff sich jedoch den blöden Spruch, der ihm auf der Zunge brannte und bediente gerade noch rechtzeitig den Feuerlöscher seines Verstandes.
Derweil kam Dirk aus der Küche. In eine schlichte Jeans und ein offenes Hemd gekleidet, die Haare feucht und mit einem Lederband gebändigt. Leon war vor einem großformatigen Bild stehen geblieben, welches alle anderen dominierte. Auch Kai stockte der Atem, als er es ansah. Das kannte er noch nicht und er fragte sich, warum es ihm nicht gleich aufgefallen war. Im Grunde zog es den Blick geradezu magisch an. Es war keines von Dirks
Weitere Kostenlose Bücher