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Mecklenburger Winter

Mecklenburger Winter

Titel: Mecklenburger Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris P. Rolls
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würde gerne viel öfter herkommen. Das ist alles so … unkompliziert bei ihr.“
    „Ich auch.“ Kai seufzte und grinste schief. „So macht mir mein Training auch gleich mehr Spaß, wenn ich Begleitung habe.“
    „Ich habe dich auch mit dem Wunderrad von Dirk dauernd abgehängt.“ Leon schmunzelte. „Das lag nur an dem matschigen Boden. Da war dein Vierbeinantrieb besser. Zuhause auf den Sandböden hättest du mich ganz bestimmt nicht so leicht loswerden können.“ Leon seufzte und sein Gesicht wurde schlagartig ernst. „Da habe ich ja leider kein Pferd für so was.“ Er biss sich in die Wange und starrte nach vorne auf die Straße. Kai wollte nichts einfallen und er schwieg. Seine Hand übernahm das Kommando, fand sich auf Leons Oberschenkel wieder und drückte einmal zu. Keine sexuelle, eine vertraute, eine beruhigende Geste des Mitgefühls. Leon verstand, blinzelte und strich sich seufzend das Haar zurück.
    „Ich vermisse sie“, erklärte er sehr leise. „Gar nicht wegen des Reitens, aber ich konnte immer zu ihr gehen, wenn es Ärger gab. Bin dann einfach zu ihr in die Box und habe mich da hingesetzt. Dann kam sie an, hat mir ihre Nase in den Nacken und ihre Nüster ganz leicht dagegen gedrückt. Ich mochte es, wenn ihr warmer Atem darüberstrich. Das hat gekitzelt. Sie schien immer zu wissen, wenn es mir mies ging.“ Hastig blinzelte er erneut. „Ich glaube, sie war die einzige, echte Freundin, die ich hatte.“
    Kais Hals fühlte sich eng an, ein unpassender Zeitpunkt, Leons Geständnis durch eine flapsige Bemerkung aufzuheitern. Mitunter war es besser, zu schweigen und Leon reden zu lassen.
    „Weißt du“, fuhr dieser wenigen Minuten später fort. „Ich wusste schon, dass ich anders bin. Ich … ich wollte es nur nicht wahrhaben. Ich hatte solche Angst, dass mein Vater Recht hatte. Hat er auch, aber nicht so, wie er denkt. Ich bin nicht schwach, nur weil ich eben ...“ Abermals unterbrach er sich, wischte sich flüchtig über die Wange. Kai konnte keine Tränen erkennen. Vermutlich hielt Leon sie tapfer zurück. Kais Augen hingegen brannten solidarisch.
    Leon holte durch die Nase Luft. „Weil ich eben schwul bin.“ Er wandte sein Gesicht Kai zu, seine Augen versenkten sich tief hinein. Kai konnte den Mut darin wachsen sehen, die Entschlossenheit, noch bevor die Lippen weitere Worte formten: „Schwul. Ich bin schwul.“ Leons Zunge leckte über seine Lippen und er richtete den Blick erneut auf die Straße.
    „Schwul.“ Das Wort trieb Kais Herzschlag an und dessen Hand drückte sich fester auf Leons Bein. „Nicht bi. Nie. Ich habe mich noch nie für Mädchen interessiert. Ich habe immer gedacht, es kommt noch, wenn mich erstmal eine geküsst hätte. Aber das war Quatsch.“ Sein Unterkiefer verkrampfte sich für einen Moment und Kai dachte daran, dass es lebensgefährlich war, ihn jetzt zu küssen, viel zu riskant. Es würde warten müssen, dabei war es die einzig, richtige Antwort.
    „Seit ich dich kenne, wollte ich nur noch … dich küssen. Völlig abartig, dachte ich erst und nur, weil du so … anders warst. Witzig und … immer so direkt. Und … schwul.“ Ein hauchfeines Lächeln entspannte Leons Gesicht und er wandte erneut den Kopf. „Du warst der … erste … Mann, der von mir geküsst werden wollte. Ein völlig irrer Gedanke.“ Mehrmals schüttelte er den Kopf. „Weißt du, was für ein tolles Gefühl es ist, dass du mich magst und begehrst so wie ich halt bin?“ Kai nickte stumm, der Mund blieb verschlossen, sein Verstand hatte eine Menge Sekundenkleber benutzt, um das vorschnelle Mundwerk wenigstens dieses eine Mal von unnötigen Kommentaren abzuhalten.
    „Und dieses ganze Wochenende“, fuhr Leon fort, „das war … wie ein Traum. Unglaublich. So viele, die so sind und es völlig normal finden.“ Ein weiteres Seufzen kam ihm von den Lippen. „Das ist ein Traum, denn daheim ist es nicht so. Da ist keiner so tolerant, da bin ich unnormal und im Grunde ganz genau das, was mein Vater immer sagt.“
    „Nein!“ Kai konnte förmlich das Reißen des Klebers hören. Seine Lippen brannten, als ob er sie sich blutig gerissen hätte. Sein Herzschlag trieb Messerstiche in seine Brust. „Kein Traum: Real. Du bist schwul und das ist völlig normal.“
    „Ich bin schwul“, wiederholte Leon und zuckte traurig die Schultern, „Aber zuhause darf ich es nach wie vor nicht sein. Zuhause ...“ Er sah Kai direkt an und lächelte. „Zuhause sind wir nur gute Freunde.“

 
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