Mecklenburger Winter
Tiger, der kämpfen kann? So geht das doch nicht weiter. Wann kapiert er endlich, dass er sich wehren muss?
„Willst du dich dein Leben lang von ihm abhängig machen? Von seiner Meinung? Soll er dich dauernd weiter fertigmachen? Du bist ihm nichts schuldig. Er behandelt dich wie Dreck, wie einen Sklaven und du machst es auch noch mit.“ Kais Stimme überschlug sich beinahe. Zischend und sprudelnd, mit ungeheurer Wucht brach sich seine Frustration Bahn. „Denkst du, ich möchte dauerhaft verbergen, was ich für dich fühle? Jedes Mal muss ich so tun, als ob wir nur befreundet wären. Am liebsten würde ich dieses Arschloch direkt drauf stoßen, was er für einen tollen, schwulen Sohn hat. Ja, einen schwulen Sohn. Na und? Der weiß dich nicht zu schätzen, der kennt dich gar nicht wirklich. Du spielst ihm etwas vor, was du nicht bist. Kapierst du das nicht? Das bist nicht du. Du belügst dich und ihn und alle anderen. Es wird Zeit, es ihnen zu sagen. Irgendwann werden es doch alle erfahren.“
„Das kann ich nicht!“ Leon hob den Kopf und sah Kai flehend an. „Für dich ist immer alles leicht und einfach. Du gehst immer den direkten Weg, hast immer einen lockeren Spruch auf Lager.“
„Und ich stehe dazu, wer und was ich bin. Wem es nicht passt, der kann mich mal. Leon, du solltest deinem Vater eins dieser Kussfotos auf den Tisch knallen und ihm erklären, dass du dich in einem Mann verknallt hast. Wenn er nicht damit leben kann, soll er doch sehen, was er alleine macht. Er braucht dich, er wird es kapieren.“ Kai holte Luft. Er hatte keine Chance mehr aufzuhören, alles brach hervor, alles auf einmal. „Wenn du nichts sagst, wird es immer so weitergehen. Nein, Leon, das klappt nie. Willst du ständig Angst haben müssen, er findet es heraus?“
Er atmete schwer. Ihm war schlecht, sein Herz raste, seine Lunge schmerzte, aber er war schon viel zu weit gegangen. „Sag es ihm endlich. Sei ehrlich, sei du selbst. Du kannst das.“
„Das kann ich nicht!“ Leon befreite sich aus Kais Griff. „Wenn ich es ihm sage, dreht er durch. Dann ist alles vorbei. Der Hof, die Pferde ...“
„Scheiß auf den Hof. Willst du dir dein ganzes Leben versauen, nur weil du dich ihm verpflichtet fühlst?“ Mit großen Augen sah ihn Leon an, seine Lippen bebten stärker und es glitzerte in seinen Augen. Himmel noch einmal, er muss doch nur mal etwas Rückgrat diesem homophoben Mistkerl gegenüber zeigen. Er konnte das, Kai wusste es.
„Ich kann und will nicht dauernd so weitermachen“, erklärte er, der Magen ein eiskalter, schmerzender Ball. „Ich jedenfalls habe keinen Bock mehr, zu verstecken, was ich fühle. Ich bin schwul. Ich liebe dich, ich will mit dir zusammen sein, mit dir Sex haben, dich küssen. Verdammt noch einmal, Leon, du willst es doch aus. Hör endlich mit diesem Versteckspiel auf. Komm aus deinem Bau raus und sei du selbst!“
„Das kann ich nicht!“ Leon schrie ihm die Worte ins Gesicht. Kräftig stieß er Kai zurück. „Du hast doch gar keine Ahnung. Ich will das nicht alles verlieren. Bella ist weg, aber ich will nicht noch mehr verlieren. Ich liebe die Pferde, den Hof. Das ist mein Zuhause, meine Zukunft. Das ist alles, was ich habe!“ Die Kälte griff auf Kais Körper über, überschwemmte seine Blutbahnen und ließ ihn erstarren.
„Willst du mich verlieren? Ist es dir das wert?“ Jeder Atemzug schmerzte, feine Stiche in seinem Herzen, ein schmerzhaftes Pochen hinter der Stirn. „Ich liebe dich, Leon. Ich bin so scheiße verdammt verknallt in dich. Aber ich … ich kann so nicht ewig weitermachen.“ Die Worte waren raus. Er konnte sie nicht zurücknehmen. Sie waren falsch und zugleich richtig. Dennoch hasste Kai sich dafür, sie ausgesprochen zu haben.
Leon erstarrte. Seine Augen weit aufgerissen, der Blick bohrte sich in Kai, drang mit glühenden Messern in dessen Herz, zerriss es, spießte es auf, zerfetzte es in winzige Fragmente. Keuchend holte Leon Atem, setzte mehrfach an, bevor er hervor presste: „Ich kann … das … einfach nicht.“ Er wandte den Kopf, Tränen glitzerten in seinen Augen.
Impulsiv wollte Kai nach ihm greifen, ihn festhalten, halten, was zwischen ihnen war. Es ging nicht. Seine Arme gehorchten ihm nicht mehr, sein Körper war zu Eis gefroren, erstarrt.
„Das ist alles zu kompliziert, zu schwierig und ich … ich will nicht, dass es noch schwieriger wird “, flüsterte Leon. „Es tut mir leid. Es geht nicht.“ Er wandte sich ab und ging davon, ließ
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