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Mecklenburger Winter

Mecklenburger Winter

Titel: Mecklenburger Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris P. Rolls
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Kai zurück, dessen Beine unter ihm einzuknicken drohten. Er spürte … nichts. Alles war kalt, abgestorben. Die Zeit schien stehenzubleiben, in einer endlosen Schleife vor ihm abzulaufen. Kein bewusster Gedanke erreichte Kais Gehirn, nichts durchdrang die Leere in seinem Innern. Seine weichen Beine trugen ihn genau einen Schritt vorwärts, seine Hand fand die Wand und stützte sich daran ab. Er brauchte einen Halt, irgendetwas, was verhinderte, dass er sich zusammenkrümmte, einfach zu Boden sackte.
    Das war es. Vorbei. Beendet. Eben noch hatte er geglaubt, der glücklichste Mann der Welt zu sein und im nächsten Moment fiel er in einen Abgrund, der ihn bis in die Hölle hinabführte.
    „Kai?“ Dirks Stimme. Kai schloss kurz die Augen, stieß sich ab und richtete sich auf, während er sich umdrehte. Jetzt keine Schwäche zeigen, den eigenen Körper kontrollieren, beherrschen, bezwingen. Er konnte das. Er war geübt darin.
    „Wir fahren dann los. Leon wollte bei uns mitfahren. Wir treffen uns gleich bei Christel“, erklärte Dirk, musterte seinen Freund fragend. Kai nickte apathisch, brachte lediglich ein raues: „Okay“ hervor. Eine Lüge. Nichts war okay.
    Susanne und Dirk hatten eine faire Erklärung verdient, aber er konnte gerade nicht reden. Sprechen war unmöglich. Der Schmerz war da, lauerte nur darauf mit voller Wucht zuzuschlagen. Schon einmal hatte er diese Qualen durchlitten. Er wusste, was kommen würde. Und er konnte sich dennoch nicht dagegen wappnen. Kai konnte die Schmerzen ignorieren, die von Blasen an den Füßen kamen, die von aufgeriebener Haut, Erschöpfung, das schmerzhafte Stechen in der Lunge beim Training im anaeroben Bereich. Damit konnte er umgehen, damit war er vertraut. Diese Schmerzen waren anders, saßen tiefer, rissen Wunden, die nie heilen würden.
    Mechanisch funktionierte sein Körper. Er ging in die Scheune, verabschiedete sich von Feuerdirk, der es kaum registrierte, da er bereits inmitten der nächsten Fotoserie war. Kais Füße trugen ihn zu seinem Auto, die Finger ertasteten den Schlüssel, fanden das Schloss. Sein Körper handelte selbstständig. Er lenkte das Auto auf die Zufahrt, folgte der Landstraße und bog auf die Autobahn ab.
    Richtung Berlin. Gen Osten.
    Nachhause.
    Alleine.

 
 51 Laufgelage
     
    Das schlechte Gewissen holte ihn schon an der nächsten Ausfahrt ein. Stur ignorierte Kai das Schild, dessen Pfeil ihn zur Umkehr verleiten wollte.
    Leon würde auch so heimkommen. Wie sonst auch, wenn er bei Christel war: mit der Bahn. Dann konnte er rechtzeitig daheim sein, um diesem gottverdammten scheißfaulen Vater alle Arbeit abzunehmen. Wenn es das war, was er wollte, bitteschön. Sollte er glücklich werden. Kai würde ihn nicht daran hindern. Aber er sollte auch nicht glauben, er würde ewig darauf warten, dass Leon endlich erwachsen wurde.
    Er ist gerade erst achtzehn geworden. Die leise, hartnäckige Stimme des schlechten Gewissens war da, ob Kai sie ignorierte oder nicht. Du hast ihn im Stich gelassen, nicht einmal Susanne oder Dirk Bescheid gegeben. Scheiße, ja. Alles richtig, aber er … er konnte Leon jetzt nicht mehr ansehen, nicht mehr mit ihm umgehen. Nicht jetzt. Zu viele Emotionen. Zu viel gesagt.
    Es war alles da gewesen, alles offen: Sie waren ein Paar, glücklich verliebt. Jeder hatte es sehen können. Es strahlte von den Fotos. Und Leon hatte noch immer einfach nicht genug Arsch in der Hose dazu zu stehen? Wie lange sollte das noch so weitergehen? Das musste doch danebengehen.
    Nein. Es war besser so. Besser einen klaren Schlussstrich zu ziehen, anstelle ewig zu warten und doch enttäuscht zu werden. Kai hatte genug von Enttäuschungen, genug vom Warten. Kein Versteckspielen mehr. Aus dem Alter war er längst heraus.
    Du warst neunzehn, als du dich geoutet hast, erinnerte ihn sein schlechtes Gewissen. Und es ist haargenau das eingetreten vor dem Leon sich so fürchtet: Deine Eltern haben mit dir gebrochen. Und bei dir hing kein Hof mit Tieren dran, die dir etwas bedeutet hätten. Du hast ihn erlebt, du weißt, wie sehr er die Pferde liebt, wie viel Halt sie ihm geben. Oh verdammt.  
    Kai knirschte mit den Zähnen. Das war unfair. Andauernd hatte er Rücksicht genommen, gewartet, gehofft, sich zurückgehalten. Und nun, wo er der ganzen Welt sein Glück ins Gesicht schreien wollte, versagte Leon ihm diesen letzten Schritt. Unfair. Unfair. Scheiße!  
    Nein, dieses Mal würde nicht er den ersten Schritt machen. Es war an Leon. Wenn diesem

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