Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mecklenburger Winter

Mecklenburger Winter

Titel: Mecklenburger Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris P. Rolls
Vom Netzwerk:
die Wut auf den Mann, der ihm seine Frau genommen hatte? Oder - auch der Gedanke kam Kai - löste der Anblick Leons unterdrückte Gefühle aus?
    Kai verzog den Mund während ihm der Schweiß über das Gesicht lief. Egal wie, es konnte keinen Weg zurück für Leon geben. In dieser verworrenen Hölle aus Schuld und Lügen konnte er nur untergehen. Was wäre wohl aus ihm geworden, wenn sie sich nicht zufällig getroffen hätten? Er hätte es weiterhin ertragen, sich geduckt, tiefer und tiefer in seinen Bau vergraben, bis ihn niemand mehr finden würde. Einsam, alleine, vergessen und todunglücklich.
    Kai fröstelte und lief schneller. Mein Schneehase. Wie stark musst du im Innern sein. Unglaublich stark. Begehrenswert in jeder Form. Leon hatte vielleicht mehr Ausdauer und Kampfwillen als er selbst, nur verborgen, still und leise. Er würde bei ihm sein, was auch immer geschah. Ihm das Gefühl vermitteln, wirklich geliebt zu werden, sodass er sich niemals wieder verleugnen oder zurückziehen musste.
    „Das schwöre ich“, murmelte Kai. „Egal vor wem oder was: Ich werde dich immer lieben.“

 
60 Trainingsfortschritte
     
    Die Mecklenburger Wälder blieben stumm, egal wie laut Kai schimpfte und wie viele unflätige Flüche er in die Kiefernadeln warf. Mit der stoischen Gelassenheit, die sie Kriege und Regierungen hatten überstehen lassen, ertrugen sie seinen Ausbruch und höchstens ein paar Rehe versteckten sich tiefer im Dickicht. Vielleicht schüttelten auch die Wölfe insgeheim ihre Köpfe und dachten darüber nach, nach Polen zurückzukehren.
    Keuchend blieb Kai stehen und rang nach Luft. Laufen und Schimpfen war nicht gut und überhaupt lief er heute total beschissen. Sein Puls war viel zu hoch und schwankte und er hatte das Gefühl, Blei in den Beinen zu haben. Dazu kam ein schlechtes Gewissen mit einer Tonne Gewicht, welches ihn in den sandigen Boden drücken wollte.
    Er hätte da bleiben sollen, Leon beistehen müssen. Wer weiß, mit was ihn seine Mutter bequatschen würde, damit er zurückkam. Ob sie ihm wohl endlich die Wahrheit sagen würde? Eher gefriert die Hölle oder die Mecklenburger Bevölkerung explodiert. Auch wenn in Kai alles aufschrie, Leon nicht auch noch mit seiner wahren Abstammung Hürden aufzubauen, wäre es nur richtig, ihm reinen Wein einzuschenken.
    Kai zwang sich, tief und lange einzuatmen. Kein Wunder, dass er heute so schlecht lief wie ein totaler Anfänger. Er war zu aufgewühlt, viel zu sehr mit den Gedanken bei Leon und dessen Leben. Er bekam weder den Kopf noch sein Herz frei. Unglaublich, was dieser stille junge Mann hatte ertragen müssen, immer auf der Suche nach einem Fünkchen echter Liebe und Anerkennung, die er niemals bekommen würde.
    Kai war schlecht. Sein Magen zog sich zusammen und für einen Moment glaubte er wirklich, umzukippen und sich zu übergeben. Scheiße, krieg dich mal wieder ein. Du kannst nichts ändern. Niemand kann das. Es ist vergangen. Schau nach vorne. Leon geht seinen Weg, geht ihn auch ohne die Liebe seiner Eltern. Aber mit dir an seiner Seite. Der Schweiß klebte ihm am Rücken und fühlte sich kalt an. Himmel, ich bin echt unglaublich schlecht drauf. Es hat gar keinen Sinn, so weiter zu machen. Besser, ich kehre gleich um.  
    Seufzend machte sich Kai auf den Weg, ging mit großen Schritten heimwärts und wartete, bis sein Körper sich ein wenig besser anfühlte. Zunehmend trieb ihn Unruhe voran. Im Grunde war er sich sicher, dass Leon nicht auf irgendwelche Versprechungen hereinfiel. Im Grunde … Andererseits wusste er von dessen Sehnsucht nach den Pferden. Anneliese würde ihn vielleicht doch überreden können, ihm Dinge versprechen, die sie, oder ihr Mann, nie halten konnten. Leon ist erwachsen. Er ist stark genug, er weiß mittlerweile, was er zu erwarten hat. Dieser Mistkerl hat ihn geschlagen. Niemals lässt er sich wieder auf den ein. Oder doch?
    Kai verfiel in einen quälend langsamen Jog und beäugte argwöhnisch seine Pulsuhr. Verdammt, er sollte mal die Batterien austauschen, die Werte schwankten viel zu sehr, als dass sie real sein konnten. Genervt schaltete er die Anzeige aus. Blöde Technik, heute geht aber auch alles schief.  
    Was, wenn Leon doch weg ist? Dann hänge ich mich auf. Kai schnaubte und schüttelte gleich darauf den Kopf. Nein, das würde Leon nicht tun. Nicht, ohne sich zu verabschieden. Niemals. Dennoch, eine winzige, zähe Sorge krallte sich an ihn und biss immer wieder unangenehm zu. Und sie schien Recht zu

Weitere Kostenlose Bücher