Mecklenburger Winter
haben, denn als er in seine Straße einbog, war Leons Auto fort.
„Scheiße.“ Kai ballte die Faust. „Verdammte Scheiße.“ Selbstvorwürfe drohten ihn unter sich zu begraben. Wäre ich doch lieber dageblieben. So ein Mist. Aber nein, Leon tut dir das nicht an. Der geht nicht einfach. Sein Herz schlug dennoch so schnell, wie ihn der defekte Pulsmesser hatte glauben machen, als er die Tür aufschloss und sofort ins Wohnzimmer stürmte. Leons Rucksack, da lag er. Seine Bücher, seine Klamotten. Es war noch alles da. Leon war nicht weg. Er würde wiederkommen.
Es war niemand da, der ihn auslachen konnte, als sich Kai erleichtert seufzend auf das Sofa fallen ließ und beinahe liebevoll Leons Sachen anstarrte. Er ist ein Schatz, und wenn er heimkommt, werde ich ihn in den Arm nehmen und ihm all die Liebe schenken, die er immer entbehren musste, schwor Kai sich. Mühsam rappelte er sich hoch, um zu duschen. Verflucht, heute war echt ein Tag, den er besser vergessen sollte. Er fühlte sich uralt und völlig fertig, da half auch das warme Wasser der Dusche nicht viel. Hunger hatte er auch keinen und so schleppte er sich danach zurück ins Wohnzimmer und legte sich auf seine Couch. Der Fernseher lief, aber Kai sah nicht wirklich hin. Müdigkeit erfasste seinen Körper und dennoch hatte er das Gefühl, dass sein Herz viel zu schnell jagte und er unter Strom stand.
Kein Wunder, nachdem, was du heute alles erfahren hast. Körper und Geist müssen schon zusammenarbeiten. Da kannst du noch so gut trainiert sein, so etwas steckst auch du nicht einfach so weg. Logisch, dass es dich aus der Bahn wirft. So eine verzwickte Scheiße aber auch, in der Leon steckt.
Sehnsüchtig lauschte er auf das Geräusch des Autos, wünschte sich so sehr, Leon wiederzusehen und ihn endlich in die Arme zu schließen. Oh Mann, heute bin ich echt ein Schlaffi. Am liebsten hätte er sich ins Bett verkrochen, die Decke über den Kopf gezogen und nur noch geschlafen.
Erschrocken zuckte Kai zusammen und riss die Augen auf. War er etwa eingenickt? Vor ihm stand ein lächelnder Leon und sah zärtlich liebevoll auf ihn hinab.
„Ich habe meine Mutter eben heimgefahren. Fährt ja kein Bus mehr um diese Uhrzeit“, erklärte er in entschuldigendem Tonfall. Ein wenig benommen schüttelte Kai den Kopf und richtete sich auf. Er brauchte mehrere Augenblicke um seine Gedanken zu sortieren und sich zu erinnern, was heute passiert war. Leon setzte sich neben ihn und legte seine Hand auf Kais Bauch. „Bist du so kaputt vom Training?“ Er musterte Kai besorgt. „Irgendwie bist du ganz schön dünn geworden in letzter Zeit.“ Seine Hand tippte gegen die Hüftknochen und glitt zur Brust. „Du solltest mehr essen, man kann jede Rippe fühlen. Beim Pferd soll man sie noch fühlen, aber nicht mehr sehen.“ Kai lächelte und brummte: „Ich bin doch kein Pferd.“
Leon grinste, beugte sich vor und küsste Kai flüchtig. Mit den Lippen über dessen verharrend blieb er sitzen. In seinen Augen versteckt, fand Kai Besorgnis und Unsicherheit. Um ihn? Oder wegen etwas anderem? Was hat seine Mutter ihm erzählt? Die Wahrheit? Wohl kaum.
„Ich ...“ Leon holte tief Luft. „Ich habe ihr das gesagt, mit uns. Also, dass wir zusammen sind.“ Oh. Kai schnappte überrascht nach Luft. Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Das kommt unerwartet. „Und was hat sie dazu gesagt?“ Kais Stimme klang schleppend und rau. Er hörte ihre Stimme in seinem Kopf: Ich weiß es schon, Kai hat es mir verraten. Das ist doch nichts für dich, mein Sohn, das ist doch kein Leben. Nicht Standard. Verlass ihn, komm zurück und lebe ein normales Leben. Bekomme Kinder und werde glücklich. Es war schwer, sich nichts anmerken zu lassen, wenn die bittere Galle der Wut wieder hochstieg. Leon lächelte weiterhin.
„Sie war nicht gerade begeistert“, gab er zu. Kann ich mir denken. Ich habe die Version davon schon erlebt, dachte Kai knirschend. „Aber ich glaube, sie hat schon was geahnt. Sie wirkte nicht so überrascht, wie ich befürchtet hatte.“ Irritiert sah Kai ihn an. Bedeutete das, dass Anneliese nicht verraten hatte, was er ihr gestanden hatte? Natürlich nicht. Vielleicht hat sie gehofft, es würde keine Rolle spielen, Leon würde sich gegen mich entscheiden, wenn sie nicht ansprach, dass ich ihr meine Liebe gestanden habe. Alles weiterhin schön leugnen und ignorieren. Tapferer Leon, dass er sich getraut hatte, es ihr zu sagen.
„Und nun?“ Kais Kehle verengte sich
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