Mecklenburger Winter
rasch ins Warme.
Kai schloss hastig auf, schob Leon in den Flur und ließ seine Tasche achtlos fallen. „Mann, wie lange stehst du denn da draußen schon herum?“ Er half ihm aus seiner Jacke. Leon steckte in einer Reithose und Kai war sofort klar, dass diese für derartige Temperaturen viel zu dünn war.
„Spinnst du? Du holst dir doch den Tod. Warum hast du nicht angerufen? Du wusstest doch, wann ich heimkommen würde“, schimpfte Kai ziemlich erschüttert. Es gab einen Grund, warum Leon hier auftauchte und sein Bauch sagte ihm, dass es nicht seine Sehnsucht nach ihm war. Leider .
„Ich ...“, begann Leon erneut, seine Zähne klapperten allerdings so stark, dass jedes Wort abgehakt herauskam. „Kein Handy … habe es liegen gelassen ... Bin zu Fuß hergelaufen … Hatte gehofft ...“ Er brach ab und rieb sich mit den Händen über seine Arme. Sein Körper bebte.
„Verdammt, du Idiot.“ Kai packte Leon am Arm und zog ihn kurzerhand ins Wohnzimmer und vor die Heizung. Er drückte ihn mit dem Rücken dagegen und griff gleichzeitig nach Leons eiskalten Händen, nahm sie zwischen seine und begann sie zu reiben. Sie sind furchtbar kalt. Wie lange stand er da schon rum?
„Was treibst du dich bei dem Wetter draußen herum? Ist etwas passiert?“, stammelte Kai hastig. Dumme Frage, natürlich ist etwas passiert. Ist er echt die ganze Strecke von Moraas hierher gelaufen?
Leon sagte nichts, hielt den Kopf gesenkt. Kai bemerkte eine nasse Spur auf dem verfrorenen Gesicht.
„Scheiße, Mann, was ist passiert?“, stieß Kai hervor. Wenn Leons Vater …
„Gestritten ...“, würgte Leon hervor und wollte sich entziehen, doch Kai behielt seine Hände in seinen eingeschlossen. „Hast du dich mit deinem Vater gestritten?“ Leon nickte heftig, hob den Kopf und blickte Kai an. Er schluckte schwer. „Ich habe ihm widersprochen.“ Seine Stimme war sehr leise. „Meistens hört er irgendwann auf, wenn ich nichts sage. Nur diesmal konnte ich meinen dummen Mund nicht halten.“ Er schluckte und entzog sich massiv Kais Griff. Beschämt wischte er sich die Tränen fort und sein Gesicht verzog sich.
„Dauernd sagt er solche blöden Sachen und jedes Mal schlucke ich es runter. Seit Bodo in der Lehre ist, ist es besonders schlimm geworden. Nie mache ich was richtig und dauernd meckert er an mir herum“, beschwerte sich Leon. „Ich wollte nächste Woche zu dir ins Studio kommen und habe ihn gefragt, ob es okay ist, weil wir gerade viel zu tun haben.“ Leon drückte seine Hände gegen die Heizung. Kai ging innerlich seufzend auf Abstand. Es hatte sich so gut angefühlt, Leons Hände zu halten.
„Er gesagt, dass es Zeitverschwendung ist und ich nicht mehr hingehen darf.“ Leon schnaubte empört. „Dabei war ich lange nicht mehr weg, weil der blöde Trecker nicht anspringt und wir alles per Hand machen müssen. Ich bin schon sechs Mal deswegen zu spät zur Schule gekommen.“ Er holte tief Luft. „Ich wollte wenigstens einmal wieder was machen dürfen, was mir Spaß macht. Und er verbietet es mir. Dabei bin ich gerne bei dir im Studio. Da hat mich wenigstens keiner dumm angemacht. Nur fing er wieder davon an, dass man ja nichts sehen würde und … halt die üblichen Sprüche.“
Leon ballte seine Fäuste und Kai war nicht sicher, ob er zitterte, weil ihm kalt war, oder weil er erregt war. Die schönen, graugrünen Augen blitzten und die bläulichen, sanft gewölbten Lippen bebten.
„Ich habe ihm gesagt, was du mir erklärt hast. Dass mit den Muskeln und so“, stieß Leon hervor. „Aber dieser Blödmann hat mir gar nicht zugehört. Er hat das gar nicht kapiert, nur gesagt, das wäre die dümmste Ausrede für schwuchteliges Aussehen, die er je gehört hätte.“ Kai zuckte bei dem Schimpfwort zusammen. Gefährlich kalte Wut breitete sich in ihm aus.
„Ich ... ich habe ihn angeschrien, dass ich keine Schwuchtel bin und er aufhören soll, mich dauernd so zu nennen.“ Leon stieß heftig die Luft aus. „Aber er hat nur gelacht und gesagt, dass jeder doch sehen könnte, wie gerne ich gefi ...“ Er unterbrach sich, holte abermals Luft und wandte den Blick ab. „Dass ich gerne in den … Arsch gefickt werden will.“ Keuchend holte Leon Luft.
Bei seinem Anblick überkam Kai mit einem Mal eine seltsame Ruhe, Vorbote eines gewaltigen Ausbruchs. So mobilisierte er Energien, wenn er seine letzten Reserven brauchte, am Ende eines Rennens, wenn er gegen den Körper oder die Naturgewalten oder die Strecke
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