Mecklenburger Winter
dachte er. Ein Anfang, Leon. Ein Anfang. Winzig klein. Dein, unser, erster Schritt auf das Ziel zu. Aber das letzte Drittel eines Rennes ist immer das Schwerste. Sprintet man zu Beginn zu schnell los, geht einem am Ende die Luft aus. Wir schaffen das, drückten Kais Finger aus, die streichelnd durch Leons Haare fuhren. Ich bin bei dir, sagte seine Hand an dessen Rücken, immer an deiner Seite. Verlass dich auf mich, versprach sein Körper mit seiner Wärme und Stärke.
Leons linke Hand tastete sich über Kais Hüfte, legte sich unsicher, kühl und schweißfeucht an seinen Rücken. Noch immer hörte Kai keinen Laut, spürte nur eine Schluckbewegung an seiner Brust. Leon verstärkte den Druck nicht, ließ seine Hand ruhig auf der Haut liegen. Stummes Einverständnis, ein lautloses Flehen. Kai verstand es. Wie so vieles zuvor.
Traum oder real, Kai schloss die Augen, nahm, was er bekam, verlangte nicht, forcierte nichts. Leon bestimmte das Tempo. Nur er.
Ein lautes Poltern ließ sie zusammenfahren. Augenblicklich löste sich Leon und richtete sich halb auf. Kai seufzte enttäuscht. Unüberhörbar erklangen schmerzhafte, nicht jugendfreie Flüche aus dem Wohnzimmer.
„Joschi ist von der Couch gefallen“, kommentierte er, nicht ohne einen gewissen hämischen Unterton. Elendiger Mistkerl . Der störte, wo er nur konnte, ob mit oder ohne Absicht. Es polterte mehrfach, doch Kai rührte sich nicht. Leon sah auf ihn herab, strich sich hastig die verdächtigen Spuren aus dem Gesicht. „Willst du nicht nach ihm sehen?“, flüsterte er. „Wozu?“, gab Kai zurück und fügte gehässig hinzu: „Ich hoffe doch, er hat sich dabei den Hals gebrochen.“ Leons Lächeln war im schwachen Licht zu erkennen. „Bestimmt nicht“, meinte er leise und legte sich wieder hin. Seine Augen blieben offen und er betrachtete Kai. „Unkraut vergeht nicht“, fügte er seufzend hinzu.
Kais enge Kehle ließ ein glucksendes Lachen hindurch. Hatte Leons Stimme nicht den gleichen Tonfall wie seine gehabt? War er eventuell doch ein winziges bisschen eifersüchtig auf Joschi? Die Vermutung lag plötzlich sehr nahe.
Verhalten lachten sie beide, bis die Geräusche im Wohnzimmer aufhörten. Selig lächelnd schloss Kai die Augen. Es war ihm egal, was er nun träumen würde. Kein Traum konnte so wunderschön sein, wie die Realität, Leon neben sich zu wissen.
26 Ein Schritt vor und einer zurück
Ein Geräusch weckte Kai.
Eben noch hatte er im Traum eng an Leon gekuschelt geschlafen, nun öffnete er verschlafen die Augen und stellte fest, dass der Traum sich seltsamerweise fortsetzte. Völlig unmöglich zwar, aber Leon lag wirklich direkt neben ihm, die Augen geschlossen, der Atem ruhig und gleichmäßig. Er lag auf dem Bauch, das Gesicht Kai zugewandt, ein Arm ganz dicht neben dessen Kopf.
Verzückt betrachtete er Leons entspanntes Gesicht. Hatte dieser ihn wirklich letzte Nacht berührt? Hatte er von sich aus, einen Schritt auf Kai zugemacht? Im Tageslicht erschien alles wie ein Traum, unwirklich, unwahrscheinlich. Dennoch konnte er sich sehr gut daran erinnern.
Zögernd streckte er seine Hand aus, strich zärtlich durch Leons Haare und wagte sich sogar zu dessen Schulter vor. Wenn nur nicht dieser blöde Stoff zwischen ihnen wäre. Andererseits ganz gut, denn Kais Unterleib reagierte schon auf wenige Zentimeter nackter Leonhaut wie auf ein Pinup-Girl oder eher einen -Boy.
Seufzend strich Kai über Leons Nacken. Das Seufzen klang erstaunlich laut in seinem kleinen Schlafzimmer, hallte fremd nach. Irritiert sah Kai sich um und setzte sich ruckartig auf. Das war nicht sein Seufzen. Augenblicklich wachte auch Leon auf und sah sich erschrocken um.
„Joschi!“ Empört starrte Kai den blonden jungen Mann an, der nur mit einer Unterhose bekleidet lässig an den Türrahmen gelehnt stand und sie beide mit einem verzückten Lächeln beobachtete.
„Hach, das war aber mal ein niedlicher Anblick“, kommentierte er lächelnd. „Ich hatte zwar gehofft, ich bekomme was anderes zu sehen, aber das war echt zuckersüß.“
„Raus hier!“, schrie Kai ihn an, fassungslos vor Wut und eigenartig betroffen, dass Joschi ihn bei dieser zärtlichen Geste erwischt hatte. Leon starrte Joschi betreten an und rückte unwillkürlich von Kai ab. Ein eisiger Nordwind schien durch die wachsende Distanz zu fegen und Kai fröstelte. Joschi hingegen war wenig beeindruckt.
„Was denn? Ihr seid ja nicht mal bei einer auch nur angedeutet unmoralischen
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