Medaillon des Schicksals (German Edition)
des Holzes, kaum roch sie die erste Ahnung des schweren Rauches, der sie bald, sehr bald schon ersticken würde, da öffneten sich ihre Lippen, und aus ihrer Kehle erklang ein letztes Lied, ein Abschiedslied an die Welt und ein letzter Gruß an ihre geliebte Heimat, denn sie sang mit den Worten dessen, der wie sie das Land ringsum als sein Zuhause betrachtete. Ein letztes Mal sang sie ein Lied von Francesco Petrarca und verabschiedete sich damit von der Welt, die sie doch so sehr geliebt hatte.
»Nicht bleich verfärbt, sondern wie Schnee so rein,
in großen weißen Flocken sanft herabgeflogen,
schien sie nur eine Ruhende zu sein.
Schlaf war in ihre Augen eingezogen,
der Geist schon fern von ihr auf stolzen Flügeln.
Und wer das Sterben nennt, hat sich betrogen —
der Tod schien schön auf ihren schönen Zügen.«
Ein letztes Mal war es Rosaria gelungen, mit einem Lied die Herzen der Menschen zu erreichen. Die, die sie eben noch mit faulem Obst beworfen hatten, standen stumm und hielten vor Ergriffenheit einander an den Händen. Doch Rosaria sah es nicht mehr. Der Rauch stieg auf, vernebelte ihre Augen, brannte darin, dass ihr die Tränen kamen. Sie musste husten, doch mit jedem keuchendem Atemzug drang der Rauch tiefer in ihre Lungen.
Sie fühlte die Flammen immer näher kommen. Heiß wurde ihr, unerträglich heiß. Die Holzscheite unter ihren Füßen hatten sich bereits so erwärmt, dass ihr die Fußsohlen brannten. Schon griffen die ersten Flammenzungen nach ihrem Kleid, schon ließ der Rauch'sie schwindelig werden, schon schloss sie die Augen, um den Tod zu erwarten – als plötzlich ein Schrei die Stille durchbrach.
»Nein!«, gellte es und rüttelte die Umstehenden aus ihrer Erstarrung. »Nein!!!«
Es war die Contessa Donatella di Algari, die so schrie.
Alle Augen waren auf sie gerichtet. Da riss sie sich den Schleier vom Haar, sprang so heftig auf, dass der Stuhl hinter ihr zu Boden polterte, und rannte zum Scheiterhaufen.
Wie von Sinnen versuchte sie, mit ihren Kleidern die Flammen zu ersticken.
»Nein!« schrie sie dabei. »Rosaria ist unschuldig. Sie ist meine Tochter. Sie darf nicht sterben. Ich biete mein Leben gegen das ihre.«
Ihr Kleid war längst versengt, doch unermüdlich bemühte sich die Contessa, die inmitten der Flammen kniete, mit dem dünnen Stoff die Flammen zu ersticken.
Oben, am Pfahl, stand Rosaria, und langsam sank ihr der Kopf auf die Brust.
»Halt!«, rief da Monsignore Calzoni. »Holt Wasser, löscht das Feuer, rasch!«
Die Henkersknechte eilten fort, und schon kamen ihnen die Bediensteten mit Wassereimern aus der Burg entgegen.
Die Flammen zischten unwillig auf, als sie unter dem Wasserschwall erstickten. Dunkler Rauch stieg noch einmal in großen Schwaden nach oben, ehe er sich vor dem blauen Sommerhimmel des frühen Tages auflöste und verschwand.
Die Contessa Donatella war auf den heißen Holzstücken zusammengebrochen. Ein unerträglich qualvolles Schluchzen schüttelte sie. Doch schon waren ihr Mann, der Conte, und der Priester herbeigeeilt, hoben die Contessa auf und setzten sie auf einen Stuhl. Schon benetzte Daria die trockenen Lippen ihrer Mutter.
Zur gleichen Zeit banden die Henkersknechte Rosaria vom Pfahl, einer hob sie auf und trug sie wie ein Kind weg von diesem Scheiterhaufen, weg von ihrem eigenen Tod. Sie legten die junge Frau auf die Erde und flößten ihr Wein ein. Hustend und spuckend, beide Hände auf die Brust gedrückt, kam Rosaria langsam zu sich.
Monsignore Calzoni hatte alles genau beobachtet, hatte jedes Wort der Contessa gehört. Er wartete geduldig, bis die beiden Frauen das Schlimmste überstanden hatten und die Contessa so weit gefasst war, dass sie Auskünfte geben konnte.
»Contessa di Algari«, sagte er mit einer Stimme, die sowohl Güte als auch einen Vorwurf enthielt. »Ich glaube, Ihr seid uns eine Erklärung schuldig.«
Er schritt nicht ein, als die Amme Rosalba sich plötzlich einen Weg durch die Menge bahnte und an der Seite der Contessa erschien.
Die Contessa, bleich wie ein Leichentuch, schluckte. Dann hob sie langsam zu sprechen an, und im Hof der Burg wurde es so still, dass man seinen eigenen Atem hörte.
»Rosaria ist meine Tochter. Ich habe sie hier auf der Burg di Algari zur Welt gebracht. Sie trägt das Medaillon meiner Familie um den Hals, und sie hat dasselbe Muttermal wie alle meine Kinder: einen kleinen dunklen Fleck auf der Oberlippe. Sie ist keine Hexe, ich kann es beschwören.«
Ein Aufschrei ging durch
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