Medaillon des Schicksals (German Edition)
stadtbekannt. Jeder in San Gimignano und Umgebung kennt sie. Euch aber habe ich nie zuvor gesehen.«
»Ich bin Rosaria, die Olivenhändlerin«, antwortete Rosaria schlicht, und Grazia setzte hinzu: »Sie hat nach Simonetta gesehen. Sie versteht sich aufs Heilen.«
Der Fremde nahm ihre Hand und sah Rosaria eindringlich an. »Bitte kümmert Euch um sie. Nehmt das Geld da im Beutel und sorgt dafür, dass es ihr an nichts fehlt.«
»Nur, wenn Ihr sagt, wer Ihr seid«, beharrte Rosaria.
Der Fremde seufzte. »Ich kann Euch meinen Namen nicht nennen, aber ich versichere Euch, dass ich Simonetta nichts Böses will. Im Gegenteil. Ich kenne sie seit ihrer Kindheit. Sie ist die Unschuld in Person.«
Seine Augen waren bei diesen Worten ganz dunkel geworden. Rosaria konnte Schmerz darin lesen. Schmerz und auch das Unbehagen, hier stehen und sich von den beiden Frauen ausfragen lassen zu müssen. Er hat nichts mit dem Überfall zu tun, dachte Rosaria. Trotzdem möchte ich wissen, wer er ist. Wer ist der Fremde, den ich im Traum gesehen habe und von dem ich jetzt den Eindruck gewinne, ich kenne ihn schon seit Jahren?
Wieder blickte sie in seine Augen und versank darin wie in einem kühlen See an heißen Sommertagen. Seine Blicke huschten über ihr Gesicht, und Rosaria glaubte beinahe, diese Blicke wie ein zartes Streicheln auf ihrer Haut zu spüren.
Langsam kam der Fremde näher und griff nach Rosarias Hand. »Ich glaube Euch zu kennen«, sagte er mit Verwunderung in der Stimme. »Doch ich bin sicher, Euch noch nie zuvor gesehen zu haben.«
Rosaria antwortete nicht, sondern löste vorsichtig ihre Hand aus der seinen und trat einen Schritt zurück.
Plötzlich schien sich der Fremde an den Grund seines Besuchs zu erinnern. Sein Blick verwandelte sich, die Weichheit und Wärme darin wichen einem geschäftsmäßigen Ausdruck.
»Sorgt gut für Simonetta«, bat er noch einmal. »Und sagt Ihr nichts von mir.«
Dann drehte er sich um und verschwand so schnell, wie er gekommen war.
Grazia schaute ihm mit offenem Mund nach. Ihr Gesicht hatte einen träumerischen Ausdruck angenommen.
»Welch ein schöner Mann!«, rief sie aus. »Und von solch edler Gesinnung! Wer das wohl gewesen sein mag?«
Rosaria antwortete nicht. Auch sie war in Gedanken noch bei dem Fremden, der ihr so fremd nicht war.
Doch dann schob sie diese Gedanken energisch beiseite und verbot sich, noch länger über den Unbekannten mit den grünsilbrigen Augen zu grübeln. Ich bin bald eine verheiratete Frau, rief sie sich in Gedanken zur Ordnung. Es ziemt sich nicht, Wolkenpalazzi zu bauen.
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3. Kapitel
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Als Rosaria am Morgen erwachte, wusste sie nicht gleich, wo sie sich befand. Traumfetzen gaukelten vor ihrem inneren Auge und versperrten den Weg zur Wirklichkeit. Ein junger Mann in weißem Leinenhemd, der seine grünsilbrigen Augen fest auf sie gerichtet hielt und eine Hand nach ihr ausstreckte ... Rosaria seufzte und streckte sich. Wieder hatte sie von dem Unbekannten geträumt. Wieder die seltsame Vertrautheit gespürt. Energisch setzte sie sich auf und rieb sich die Augen, um das Traumbild zu verscheuchen.
Von draußen hörte sie die Geräusche des Marktes. Und da war noch etwas, das sie hörte. Schritte. Viele Schritte, die sich leise ihrem Wagen näherten, und das Klappern eines Tamburins. Rosaria lächelte. Sie wusste, was die Schritte zu bedeuten hatten. Heute war ihr Geburtstag. Heute wurde sie 18 Jahre alt.
Erwartungsvoll saß sie da und glättete mit den Händen ihr ungebändigtes Haar, das den gleichen Farbton hatte wie die toskanische Erde. Rotbraun mit goldenen Tupfen darin, wenn die Sonne es beschien.
In ihren braunen Augen glänzte die Vorfreude und ließ die zarten Nasenflügel beben. Der volle, rote Mund kräuselte sich, als ob Rosaria niesen müsste. Sie atmete noch einmal tief durch, und schon begann von draußen der Chor der Händler und Gaukler ein Lied für sie zu singen und zu spielen.
»Wo deine Füße gehen, duftet die Erde,
dein Blick bringt Bäume zum Blühen,
deine Worte fallen wie Perlen aus deinem Mund,
und wer sie hört, wird auf der Stelle gesund.
Mit Ölen verstehst du zu heilen,
doch die Männer verweilen
noch aus anderem Grund vor deinem Stand.
Dein Lachen ist wie Glockenklang,
verzauberst jeden mit deinem Gesang.
Die Männer liegen dir zu Füßen,
und die Frauen können nicht anders, als dich zu grüßen.
Rosaria, geliebtes Kind,
wir sind froh, dass wir deine Familie sind.«
Rosaria lachte hellauf, als sie
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