Medaillon des Schicksals (German Edition)
schickte Simonetta hinaus auf sein Landhaus. Was dann geschah, weiß niemand genau. Jedenfalls brannte der Palazzo des Conte di Berlusci bis auf die Grundmauern nieder. Seinem Landhaus erging es nicht besser. Tja, und eines Tages klopfte es mitten in der Nacht an die Tür, und davor stand Simonetta. Die Haare waren zerzaust, das Kleid voller Ruß und Schmutz. Sie hatte Fieber und redete wirr. Signora Lucia hat sie aufgenommen. Wenn sie auch eine Puffmutter ist, so hat sie doch ein Herz. Und hier ist Simonetta erst einmal sicher. So dachten wir jedenfalls.«
Grazia machte eine Pause und sah Rosaria bedeutungsvoll an.
»Und dann? Was geschah weiter?«, wollte Rosaria wissen.
»Gestern Abend kam ein Reiter mit einer Maske. Er fragte nach Marissa, unserem besten Pferd im Stall. Signora Lucia hielt ihn für einen Freier, der unerkannt bleiben wollte. Vielleicht ein Ratsherr oder einer der Adligen aus der Stadt, die meistens zu Marissa wollten. Er hatte einen gut gefüllten Beutel dabei, und Signora Lucia wies ihm den Weg zu Marissa. Doch das war nur eine Finte. Der Maskierte ging nämlich direkt zum Zimmer unserer kleinen Simonetta. Was genau geschah, das wissen wir nicht, doch Signora Lucia glaubt, dass wir das Schlimmste verhindern konnten. Ihre Kleider waren nämlich noch ganz, weißt du.«
Rosaria nickte und schickte einen mitleidigen Blick zur Decke. »Arme Kleine«, seufzte sie. »Und ihr glaubt nun, dass es der Conte war?«
Grazia zuckte mit den Achseln. »Simonetta ist noch fast ein Kind. Wen könnte sie schon zum Feind haben? Wer würde ihr sonst etwas antun wollen?«
Rosaria behielt ihre Meinung für sich. Was sollte sie auch dazu sagen? Sie war nicht dabei gewesen, wusste weder, was zwischen den beiden Conti, noch was hier vorgefallen war. Aber sehen wollte sie Simonetta schon, um ihr zu helfen.
»Grazia, bringst du mich zu ihr? Ich möchte mir ihre Wunden ansehen.«
Grazia nickte und führte Rosaria eine schmale Holztreppe nach oben in den ersten Stock.
Der Raum, den Simonetta hier bewohnte, erinnerte in nichts an das Gewerbe des Hauses. Er strahlte eine so wohlanständige Bürgerlichkeit aus, dass Rosaria fragend zu Grazia schaute.
»Es sind die privaten Gemächer der Signora Lucia«, erwiderte Grazia. »Sie meinte, Simonetta wäre hier am besten aufgehoben nach dem Vorfall in der letzten Nacht.«
Rosaria sah sich um. Im Zimmer standen mehrere Truhen aus poliertem Holz, die von bestickten Kissen bedeckt waren. Neben dem kupfernen Waschgeschirr lagen blütenweiße Handtücher, in den Leuchtern aus Alabaster standen frische Talglichter. Links neben dem Fenster, welches noch immer mit einem geölten Tuch geschlossen war, obwohl die Sonne warm und hell vom Himmel brannte, stand ein Toilettentischchen. Darauf lagen zwei Kämme aus Elfenbein, eine Bürste, mehrere kleine Tiegelchen mit Salben und Schminke und einige Fläschchen aus glitzerndem Kristall, die Duftwässer enthielten. Rosaria trat näher und betrachtete die Fläschchen. Rosenöl, Pfirsichkernsaft, Lavendelwasser.
Dem Toilettentisch gegenüber stand das Bett. Es war sauber und mit frischer Wäsche bezogen, und darauf lag das Mädchen, das vielleicht gerade fünfzehn Jahre zählte, und hielt die Augen geschlossen. Die tiefen Atemzüge und das gleichmäßige Heben und Senken des Brustkorbes verrieten Rosaria, dass die Kleine schlief.
Mitleidig betrachtete die Olivenhändlerin das schmale Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem blühenden Mund. Lange, dichte Wimpern schützten die Augen und warfen Schatten auf die hohen Wangen.
»Sie hat das Gesicht eines Engels«, flüsterte Rosaria, die von der Unschuld und Reinheit in dem Mädchengesicht tief berührt war.
Grazia nickte. »Die Blutergüsse und Schwellungen lassen sie noch reiner und argloser erscheinen«, meinte sie und strich mit behutsamer Hand dem Mädchen eine Stirnlocke zur Seite.
Das Mädchen erwachte von der Berührung und sah sich mit angstweiten Augen um. Sie deutete mit dem Finger auf Rosaria und fragte ängstlich: »Wer ist das?«
Grazia beruhigte die Kleine: »Pst, pst. Das ist Rosaria, eine Händlerin und Heilerin. Sie wird deine Wunden versorgen.«
Rosaria trat nun an das Bett und sah die blau verfärbte Schwellung um das linke Auge, die von einem Faustschlag herzurühren schien.
Behutsam klopfte sie die Schwellung ab und achtete darauf, dem Mädchen nicht allzu weh zu tun.
»Du musst das Auge bei Tag mit Kamillenwasser kühlen«, sagte sie. »Und für die Nacht
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