Medaillon des Schicksals (German Edition)
Schicksal anzunehmen. Ja, hier in der kalten Kirche an diesem frühen Morgen schwor sie sich im Angesicht des gekreuzigten Herrn, dass sie sich bemühen würde, Raffael eine gute Frau zu sein und am Abend die gesamten Tageseinkünfte und obendrein noch eine Kanne vom besten Öl in die Sakristei zu bringen.
Als Rosaria die Kirche verließ, spürte sie bereits, wie eine Last von ihren Schultern fiel. Und als sie am Abend einen Korb vor die Sakristeitür stellte, schwor sie sich noch einmal, von nun an bis zum Tage ihrer Hochzeit gottgefällig und keusch zu leben.
Die Tage in San Gimignano vergingen wie im Flug. Noch immer war Rosarias Olivenstand täglich von Käufern umlagert. Noch immer fand sich die Jugend des Städtchens am Abend am Feuer der Händler und Gaukler ein.
Die Junisonne brannte inzwischen heiß vom wolkenlosen Himmel und verwandelte den Markt in einen Backofen. Die Männer der Wagenkolonne hatten längst die caizoni, die langen Strümpfe, tief im Innern der Wagen vergraben und steckten nun die nackten Füße in die Sandalen. Die meisten von ihnen trugen leichte Baumwollhemden. Auch die Kleidung der Frauen war leichter und luftiger geworden.
Die Handwerker des Städtchens hatten ihre Werkstatttüren weit geöffnet, und die Bottega-Besitzer und Schankwirte hatten hölzerne Tische und Bänke unter das grüne, schattige Dach der Bäume gestellt. Auch tagsüber blieben nun die Fenster der Bürgerhäuser und Palazzi mit den hölzernen Läden geschlossen, um die größte Hitze abzuhalten.
Rosaria ging mit ihrem Korb durch die Gassen des Städtchens San Gimignano. Sie war auf dem Weg ins Freudenviertel der Stadt. Da die Huren nicht zu ihr auf den Markt kommen durften, ging Rosaria zu ihnen. Auch sie benötigten Olivenöl, Salben und die Cremes in den Tiegeln.
Ihr Weg führte sie durch die Gasse der Seifensieder und dann weiter durch das Viertel der Färber. Bestialischer Gestank lag hier in der Luft, denn die Färber ließen ihre Purpurmoosfarbe in Urin schwimmen. Rosaria störte sich nicht an dem Gestank, im Gegenteil. Neugierig schaute sie in die Bottiche und erfreute sich an den Farben darinnen. Safrangelb, das an die Farbe der Sonnenblumen erinnerte. Das Blau der Waidpflanze, welches heller strahlte als das Himmelsblau, und schließlich das Krapprot, das der Farbe des Chiantis so ähnlich war.
Hinter den Häusern der Färber, ganz am Rande des Städtchens, fand sie schließlich das Bordell.
Rosaria klopfte an der Küchentür und wurde von einer jungen Frau eingelassen, die sich die Augenbrauen mit Kohle nachgezogen und den Mund und die Wangen rot gefärbt hatte.
»Ah, Rosaria, wie schön, dich zu sehen.«
Es war Grazia, die sie empfing, eine junge Frau, die allerdings aufgrund einer Krankheit nicht mehr zum Dienst in den Stuben taugte und daher für die Küche verantwortlich war. Rosaria schnupperte und sah nach dem großen Kupferkessel, der über der Feuerstatt hing. »Es riecht nach Pasta alla puttanesca«, sagte sie.
»Natürlich!«, erwiderte Grazia. »Was hast du sonst hier erwartet?«
»Stimmt«, lachte Rosaria. »In einem Freudenhaus muss es Nudeln nach ›Dirnen-Art‹ mit Tomaten, Pfefferschoten, Knoblauch, Sardellen, Kapern und eben schwarzen Oliven geben.«
Mit diesen Worten holte Rosaria ihre Oliven hervor und gab Grazia davon zum Kosten.
»Hmmm, himmlisch!« Grazia leckte sich die Lippen. »Wir nehmen alles, was du noch an Vorräten hast. Ich schicke dir am Abend zwei von den Färberjungen mit einem Karren.«
Dann kostete sie noch Rosarias Öl und war gleichfalls begeistert: »Wenn wir mit deinen Zutaten kochen, dann kommen die Freier bald wegen des Essens, und unsere Mädchen haben das Nachsehen.«
Dann wurde Grazia plötzlich ernst.
»Sag, Rosaria, hast du eine schmerzlindernde Salbe bei dir?«, fragte sie.
»Aber ja, wer braucht sie denn?«
Grazia sah sich nach unliebsamen Zuhörern um, dann kam sie näher an Rosaria heran und flüsterte: »Ein junges Ding, Simonetta, noch nicht lange bei uns. Sie hat Schläge ins Gesicht bekommen. Nun ist alles blau und angeschwollen. Die Kleine weint den ganzen Tag.«
»Schläge? Wieso? Von wem?«
Grazia kam noch näher und flüsterte dicht an Rosarias Ohr: »Simonetta ist die Tochter eines Conte di Berlusci. Dieser hatte Spielschulden bei einem seiner Nachbarn, dem Conte di Algari. Simonettas Vater konnte die Schulden nicht zurückzahlen. Also wollte di Algari Simonettas Unschuld als Preis. Doch der Conte weigerte sich und
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