Medaillon des Schicksals (German Edition)
mit einem Finger eine Linie nach, während die anderen ihr gespannt dabei zusahen.
Endlich, nach langen Minuten, bedeckte sie die Hand Rosarias mit der eigenen und sprach dann ihr Orakel.
»Das Schicksal sagt«, begann sie, »dass du eine Frau bist, die mit den höchsten Gaben gesegnet ist. Du kannst Liebe schenken, und in deiner Gegenwart wird jeder Streit und jeder Zorn ersticken. Mit deiner Schönheit und deiner Anmut bezauberst du Mann und Frau, jung und alt. Alles, was du dir wünschst, wird in Erfüllung gehen, denn niemals könnte dir jemand einen Wunsch abschlagen.«
Ambra hielt inne und sah Rosaria an. In ihrem Blick lag Mitleid. Für einen Moment schien es, als wollte sie ihre Rede abbrechen, nicht aussprechen, was sie in Rosarias Hand noch gelesen hatte. Doch Paola drängte: »Was hast du noch gelesen, Ambra? Wird sie mir viele Enkel schenken?«
Ambra seufzte tief und sprach leise und mit dunkler Stimme in Paolas Richtung: »In Rosarias Hand steht nichts von Enkeln geschrieben.«
Dann wandte sie sich wieder an Rosaria, strich der jungen Frau behutsam über die Stirn und sagte schließlich: »Viel Kraft wirst du brauchen. Und stark musst du sein. Denn du kannst anderen zwar Liebe schenken, doch für die eigene Liebe musst du den höchsten Preis bezahlen, den es gibt.«
Ambra verstummte.
»Welchen Preis?«, fragte Rosaria und konnte nicht verhindern, dass ihr ein Angstschauer über den Rücken kroch. »Welchen Preis? Sag schon, Ambra.«
»Für die Liebe musst du mit dem eigenen Leben zahlen.«
Der Satz, kaum ausgesprochen, schwebte wie ein grauer Nebel über dem Feuer. Einige der Frauen beteten, die Männer schlugen das Kreuzzeichen. Nur Paola nickte und murmelte leise: »Ich habe es geahnt.«
Für einige Augenblicke herrschte ein schweres, dunkles Schweigen über den Anwesenden. Auch Rosaria saß wie erstarrt, doch die Worte hatten sie weniger erschreckt als die anderen. Es war, als hätte sie bereits um ihr Schicksal gewusst. Es wird für mich keine Liebe geben, dachte sie. Es darf für mich keine Liebe geben, denn sonst bin ich des Todes. Aber ist ein Leben ohne Liebe nicht bereits ein kleiner Tod? Und hatte es das nicht schon oft gegeben, dass die Liebe den Tod besiegt hatte?
Sie hatte nicht bemerkt, dass sie den letzten Satz laut ausgesprochen hatte, und erkannte erst jetzt am Schweigen der anderen und an den Blicken, die fest auf Ambra gerichtet waren, dass alle auf eine Antwort warteten.
Und Ambra nickte, doch ihre Augen blieben traurig. »In deiner Hand steht geschrieben: Dein Leben für deine Liebe, es sei denn, der Liebste gibt sein Leben für das deine. Nur der Liebste oder aber die eigene Mutter vermögen es, mit ihrem Leben das deine zu retten.«
Ambra beschrieb mit ihrem Finger ein Kreuzzeichen auf Rosarias Stirn, dann stand sie auf und verließ die Runde.
Die Stille am Feuer wirkte so erdrückend, dass einige laut seufzten.
Schließlich erhob sich Raffael und sagte laut: »Trotz des Orakels, Rosaria, bitte ich dich hiermit nochmals und vor aller Ohren, meine Frau zu werden. Wir sind einander schon lange versprochen, ein jeder hier weiß das. Bin ich nicht Mannes genug, dich zu schützen? Könnte ich es nicht mit jedem aufnehmen, der dir nach dem Leben trachtete?«
Er sah sich nach Beifall heischend im Kreis um. Die Männer am Feuer nickten.
»Recht hast du, Raffael. Ein Mann muss seine Frau beschützen. Das liegt in seiner Natur. Du bist dafür besser geeignet als die meisten anderen, bist stark und mutig dazu.«
Jetzt meldeten sich auch die Frauen zu Wort. Während Paola mit geschlossenen Augen am Feuer saß und Mühe hatte, die Tränen zurückzuhalten, sprach die Scherenschleiferin: »Ambra wird alt, Rosaria. Ihre Augen sind trübe. Wer weiß, ob sie das Richtige herausgelesen hat.«
Und die Weinhändlerin fügte hinzu: »Was hat sie schon gesagt, die gute Ambra. Dass du für deine Liebe dein Leben hergeben musst. Ja, muss das nicht jede Frau, wenn sie die Ehe eingeht? Für mich ist der Spruch wahr, aber nicht dunkel oder gar gefährlich. Wenn ich nur daran denke, wie mein Leben ausgesehen hätte, wäre ich nicht Giulios Frau geworden!«
»Recht hat sie«, tönte es jetzt auch aus den anderen Frauenkehlen. »Wir alle haben unser eigenes Leben hergeben müssen, als wir geheiratet haben. Jetzt führen wir das Leben unserer Männer. So war das schon immer, so ist es heute und so wird es immer bleiben. Kein Grund zur Sorge. Keine Ursache für Tränen.«
Tapfer lächelte
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