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Medaillon des Schicksals (German Edition)

Medaillon des Schicksals (German Edition)

Titel: Medaillon des Schicksals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Thorne
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darüber, doch sie war schon zu lange in der Kolonne zu Hause und wusste, dass Raffaels Trick alt war. Er nutzte die Gelegenheit von Rosarias Geburtstag nur dazu, um am nächsten Tag Gesprächsthema in der Stadt zu sein und viele neugierige Besucher mit gut gefüllten Geldbeuteln anzulocken.
    Deshalb spielte sie dieses Spiel mit und gab Raffael vor aller Augen einen Kuss auf die Wange.
    Raffael tat, als brächte dieser Kuss ihn zum Schwanken. Er betupfte mit einem Finger die feuchte Stelle auf seiner Wange und schloss zum Vergnügen aller die Augen, als verlöre er sich in einem Traum.
    Mit geschlossenen Augen nahm er ein Ei aus einem Korb und tat, als spräche er mit dem Ei.
    »Mein Freund«, sagte er unter dem Gelächter der Zuschauer zu diesem ganz normalen Hühnerei. »Der Kuss dieser Frau bringt selbst dich zum Brennen.«
    »Niemals!«, riefen die Leute. Und ein alter Käsehändler sagte laut: »Ich gebe zu, dass es nicht viele Frauen gibt, die es mit Rosaria in punkto Schönheit aufnehmen können, doch ich habe noch nie gehört, dass sich sogar ein Hühnerei in unsere Olivenhändlerin verlieben könnte.«
    Auch die anderen verliehen ihrer Ungläubigkeit Ausdruck. Raffael schritt mit dem Ei in der Hand durch die Runde und fragte jeden Einzelnen nach seiner Meinung. Dann stellte er sich in die Mitte und tat wieder so, als redete er mit dem Hühnerei.
    »Siehst du, mein Freund«, sagte er. »Keiner hier glaubt daran, dass ein Kuss meiner geliebten Rosaria selbst dich in Flammen versetzen könnte. Bist du bereit, deine Liebe unter Beweis zu stellen?«
    Dann hielt er das Ei an sein Ohr und teilte den Umstehenden die vermeintliche Meinung des unschuldigen Hühnereis mit: »Es hat ja gesagt.«
    Die Zuschauer applaudierten. Raffael schritt zu Rosaria und bat diese, auch dem Ei einen Kuss zu geben. Lachend tat sie, was Raffael wünschte, und gab dem Ei einen laut schallenden Kuss.
    Im gleichen Moment hüpfte Raffael von einem Bein auf das andere und ließ das Ei, als wäre es glühend heiß, von einer Hand in die andere gleiten. Dabei rief er: »Au, au, du verbrennst mich ja!«, und warf das Ei schließlich in eine bereit stehende Schüssel mit Wasser. Kaum hatte das Ei das Wasser berührt, schoss eine Flamme hervor, und die Zuschauer brachen in lautes Lachen und tosenden Beifall aus.
    Stolz stand Raffael da und wies mit der Hand auf Rosaria, deren Kuss angeblich dieses Wunder vollbracht hatte. Die Leute jubelten Rosaria zu, und diejenigen, die nicht zur Kolonne gehörten, glaubten einmal mehr, dass die junge Frau eine Zauberin sei. Woher auch sollten sie auch wissen, dass Raffael bereits am Mittag mit einer Nadel in das Ei gestochen, Dotter und Eiweiß herausgeblasen, es getrocknet, mit Kaliumnitrat, Schwefel und Kalziumoxyd gefüllt hatte?
    Die Spannung der letzten Minuten schien die Zuschauer hungrig und durstig gemacht zu haben. Bald labten sich alle an den herbeigeschafften Köstlichkeiten und aßen und tranken mit viel Appetit.
    Auch den Zuschauern aus der Stadt wurden Becher mit Chianti gereicht, und bald waren alle in bester Feststimmung. Es wurde gesungen, getanzt und gelacht, und der fröhliche Lärm drang wohl beinahe in jeden Winkel des Städtchens.
    Als die Glocken der Kirche Mitternacht verkündeten, wurde das Fest beendet, und die Bewohner von San Gimignano gingen nach Hause. Bald saßen nur noch die Mitglieder der Kolonne um das Feuer, denn jetzt fand der eigentliche Höhepunkt des Festes statt.
    Gaukler und Händler waren ein abergläubisches Völkchen, das sich auf Zeichen und Symbole verstand und auch an Dinge glaubte, von denen in der Kirche nicht gesprochen wurde. Niemals würde einer von ihnen unter einer aufgestellten Leiter hindurchgehen, denn das brachte Unglück. Der erste Kunde an jedem neuen Platz aber wurde froh begrüßt, wenn es ein Mann war, denn das versprach viel Geld. War es aber eine Frau, so wurde diese nur mürrisch bedient, denn die Gaukler und Händler glaubten, eine Frau halte das Geld fern.
    An jedem 18. Geburtstag in der Kolonnenfamilie aber galt es als Höhepunkt des Festes, wenn die Wahrsagerin kurz nach Mitternacht dem Jubilar sein Schicksal voraussagte. Und so war es natürlich auch heute.
    Die Städter waren gegangen, Paola hatte noch einmal alle Becher mit frischem Chianti gefüllt, als Ambra, die alte Wahrsagerin, das Wort ergriff. Sie setzte sich neben Rosaria und nahm deren Hand murmelnd in die ihre. Lange schaute sie in die Hand der jungen Frau, fuhr hin und wieder

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