Medaillon des Schicksals (German Edition)
er bewirken, dass der Prozess ausgesetzt wird«, schlug sie vor.
Raffael sah auf. »Du hast Recht. Wenn einer helfen kann, dann ist es Il Magnefico.«
Raffael sprang auf und wollte aus der Schankstube laufen.
»Warte!«, rief Belina ihm nach. »Warte, ich komme mit dir. Ab heute werde ich dich niemals mehr allein irgendwohin ziehen lassen.«
Sie lief zu Raffael, lief direkt in seine Arme. Nur einmal küssten sie sich, dann drängte alles in ihnen zur Eile.
Wenige Minuten später ritten sie schon in Richtung Florenz davon.
Zur gleichen Zeit wurde Rosaria mit gefesselten Händen und von zwei Wachleuten in den Saal der Burg di Algari geführt.
In der Mitte der langen Tafel saß Monsignore Calzoni, spielte nervös mit dem schweren Ring an seinem Finger und ließ hin und wieder zwischen zusammengekniffenen Augen scheele Blicke durch den Raum schweifen.
Neben ihm fläzte sich der Conte, vor dem eine Karaffe mit Wein stand, die sich zusehends leerte. Es schien, als wollte er sich heute schon am hellen Vormittag betrinken.
An der rechten Seite des Conte saß die Contessa Donatella di Algari. Sie hielt den Kopf gesenkt, hatte die Hände im Schoß gefaltet und wirkte, als wäre sie nicht von dieser Welt. Ihre Augen irrten blicklos durch den Raum, wenn sie, was nur ganz selten geschah, doch einmal den Kopf hob. Ihr Haar war vor Kummer weiß geworden, doch das schien sie nicht zu kümmern. Ihr Gesicht wirkte wie das einer Statue, vom Bildhauer in einem Augenblick des großen Leides in Marmor gehauen. Sie bemerkte kaum, wenn man sie ansprach, antwortete knapp und zerstreut. Sie aß nichts, trank nichts, und die Mägde erzählten einander, dass sie des Nachts allein im wehenden Nachtgewand durch die dunklen Gänge der Burg irrte wie ein Geist. Es war, als hätte sich die Contessa von der irdischen Welt verabschiedet, als weilten sowohl ihr Geist als auch ihre Seele bereits im Überirdischen, nur der Leib, in dessen Mitte ein lebendes Herz regelmäßig schlug, war noch da.
Auch Isabella Panzacchi hatte sich ausbedungen, bei der Vernehmung von Rosaria anwesend zu sein. Immerhin war sie die Hauptanklägerin, und ihr war der meiste Schaden durch den Hexenzauber zugefügt worden. Sie meinte, ein Recht auf Genugtuung zu haben, und saß stolz und hochmütig, gekleidet in ein kostbares Gewand, auf der anderen Seite des Monsignore.
Als sich die Tür öffnete und Rosaria hereingeführt wurde, spuckte Isabella angewidert aus, tunkte ihre schlanken Finger in ein Schälchen mit Weihwasser, das vor ihr auf dem Tisch stand, und betupfte sich damit die Stirn.
Kaum jemand aber sah Rosalba, die Amme, die sich auf einem kleinen Bänkchen, halb verborgen vom Kamin, niedergelassen hatte und das Geschehen mit hellwachen Augen beobachtete.
Die beiden Wachleute führten Rosaria in die Mitte des Raumes, sodass sie der Tafel genau gegenüberstand.
Es gab keinen Schemel, auf den sie sich setzen konnte, keine Bank, nichts. Mit gefesselten Händen und im schmutzigen, zerrissenen Kleid stand sie vor der Inquisition und der Grafenfamilie und war sich ihres jämmerlichen Anblicks wohl bewusst.
Ihre Blicke begegneten denen der Contessa, die bei Rosarias Anblick leise aufstöhnte und eine Hand auf ihr Herz presste.
Doch schon klopfte der Monsignore mit einem Hämmerchen auf die dicke Eichenholzplatte des Tisches und fragte: »Ihr seid Rosaria, Olivenhändlerin aus Lucca?«
Rosaria nickte.
»Man hat dich der Obrigkeit angezeigt, weil du eine Hexe bist und Unheil über das Land bringst.«
Rosaria straffte die Schultern und erwiderte, so fest sie konnte: »Nein, Monsignore, ich bin keine Hexe und keine Zauberin. Ich habe auch kein Unheil über die Burg und ihre Bewohner gebracht. Ich bin eine Händlerin, die sich ein wenig in der Heilkunde auskennt. Nichts weiter.«
»Glaubt Ihr nicht, glaubt Ihr kein Wort!«, rief Isabella dazwischen. »Sie lügt. Allein das ist ein Beweis.«
»Ruhe!«, donnerte Calzoni und blätterte in einigen Papieren herum, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Schließlich blickte er auf und sagte: »Es gibt Zeugen für deine Zauberei. Gleich werden wir den ersten vernehmen.«
Rosaria schloss die Augen und stöhnte leise. Sie wusste zwar, dass sie keine Hexe war, doch sie kannte auch den Aberglauben der Leute. Wenn man jemanden als Hexe verdächtigte, dann war es ein Leichtes, Beweise dafür zu finden, denn selbst die alltäglichste Handlung gewann unter dem Eindruck der Hexerei eine ganz andere Bedeutung.
Ein Knecht, der
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