Medaillon des Schicksals (German Edition)
qualvollen Martern der Folter gaben die Angeklagten alles zu, was man von ihnen verlangte.
Rosaria hing über dem Pferderücken und war sich dem, was auf sie zukommen würde, sehr wohl bewusst. Sie hätte am liebsten laut geschrien, doch sie wusste, es würde ihr nichts nützen. Am Anfang hatte sie kämpfen wollen, doch jetzt, nach stundenlangem Ritt, hatte eine Gleichgültigkeit von ihr Besitz ergriffen, die jetzt noch größer war als jede Angst. Ausruhen wollte sie, einfach nur mehr ausruhen und von diesem Pferd und den Fesseln bald befreit werden, nichts sonst. Allmählich trübte sich ihr Bewusstsein, sie sank in eine Mischung aus gnädiger Ohnmacht und Erschöpfungsschlaf, aus dem sie erst erwachte, als das Burgtor krachend und rasselnd hochgezogen wurde.
Rosaria sah nicht die Bediensteten, die alle auf den Hof herausgetreten waren, um ihr durch Blicke und kleine Gesten Mut zu machen. Rosaria sah auch nicht den dunklen Schatten, der hinter dem Fenster von Donatella di Algaris Gemächern sichtbar wurde. Und sie sah auch nicht die alte Amme Rosalba, die sie aus der Ferne segnete.
Rosaria war erschöpft, zu Tode erschöpft und beinahe froh, als sie in das dunkle, fensterlose und feuchtkalte Burgverlies gesperrt und auf einen Haufen stinkenden Strohs geworfen wurde. Sie hörte auch nicht das Rascheln der Ratten, die neugierig um sie herumhuschten, und auch nicht die Fledermäuse, die mit rot funkelnden Augen so dicht über ihren Leib flogen, dass ihre Flügel sie beinahe berührten.
Rosaria schlief, und wäre sie noch in der Lage gewesen, sich etwas zu wünschen, so hätte sie sich gewünscht, aus diesem Schlaf nie mehr zu erwachen.
Nur wie aus weiter Ferne hörte sie noch das tiefe und drohende Grummeln eines Donners. Dann schlief sie ein.
Rosaria ahnte nicht, dass sich derweil draußen der Himmel verdunkelt hatte. Violette Wolken hetzten am Himmel entlang, als wollten sie dem schwefelgelben Licht entfliehen, das die Hügel der Toskana beschien. Die Vögel hatten aufgehört zu singen, und eine nahezu gespenstische Stille legte sich über das Land. Die Menschen atmeten schwer, als drückte eine dunkle Last auf ihre Schultern. Für eine Weile schien die Welt still zu stehen. Nichts rührte sich. Alle schauten zum Himmel empor, als erwarteten sie das Jüngste Gericht.
Doch dann brach ein Wind los, der in die Bäume fuhr, dass sie sich bis zum Boden bogen. Zweige brachen, Blätter wurden in Spiralen zum Himmel geschleudert und zurück auf den Boden geworfen. Ein Heulen und Jaulen erklang, das an Dantes Inferno erinnerte. Ein jeder glaubte, die Tore der Hölle hätten sich geöffnet und einen tobenden Sturm als erste Ankündigung ausgesandt. Am Himmel jagten die Wolken wie wild galoppierende Rosse dahin. Wäsche, die zum Trocknen auf dem Rasen gebreitet war, flog, Gespenstern gleich, durch die Luft. Die Pferde in den Ställen wieherten angstvoll und schlugen mit den Hufen gegen die Wand.
Der Wind riss an den Fenstern und Türen, als wollte er sich gewaltsam Zutritt zur Burg verschaffen. Er heulte durch den Kamin, ließ die Funken stieben und drückte schweren Rauch in die Küchen. Lose Steine wurden weggerissen und jagten wie Geschosse durch die Luft. Ein jeder, der noch draußen war, versuchte mit aller Kraft, die schützende Sicherheit eines Hauses zu erreichen. Keine Minute zu früh, denn schon brach ein Regen los, wie man ihn in der Toskana nur alle Jahrzehnte zu sehen bekam. Die Bauern blickten zum Himmel und beteten um ihre Ernte. Wege verwandelten sich in Minutenschnelle in Sümpfe, die Bäche schwollen an und traten über die Ufer. Immer stärker peitschte der Regen, riss Blätter von den Bäumen, fuhr in die Weinstöcke und zerrte an den Trauben, prasselte in die Olivenbäume, die sich vergeblich zu Boden duckten.
Immer stärker wurde der Regen, immer härter die Tropfen, bis schließlich Hagel niederging, groß wie Taubeneier, und das mitten im Sommer. In manchen Dörfern wurden die Glocken geläutet, und die Menschen beteten zum Himmel, dass dieses Unwetter, welches direkt aus der Hölle zu kommen schien, endlich aufhörte. Sie beteten um die Ernte, beteten um die Tiere auf den Weiden, um ihre Hausdächer, von denen so manches ächzte und stöhnte, schließlich brach und tiefe Löcher aufwies, durch die der Regen rann wie der Wein aus der Kanne in den Becher.
Immer dunkler wurde der Himmel, sodass es aussah, als bräche um diese Stunde bereits die Nacht herein; der Wind heulte, der Regen tobte.
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