Medaillon des Schicksals (German Edition)
Grelle Blitze zuckten über den schwarzen Himmel, rissen Löcher in die Dunkelheit, und Mensch und Tier klammerten sich angstvoll aneinander, als der laute Donner losbrach.
Die Kinder wimmerten, die Frauen weinten, und die Männer rangen die Hände. Die Geistlichen zündeten die Kerzen auf den Altären der Kirchen an und schwenkten Weihrauch.
Endlich, als schon niemand mehr daran glaubte, ließ der Regen nach, wurde dünn und dünner, bis er schließlich versiegte. Noch einmal zwang der Wind die Bäume, sich bis zum Boden vor den Naturgewalten zu verneigen, noch einmal grollte der Donner, noch einmal zuckte ein Blitz über den Himmel, dann kehrte Ruhe ein.
Die Vögel stimmten die ersten zaghaften Gesänge an, die Pferde beruhigten sich in ihren Boxen und schnaubten nur noch leise. Die Kinder weinten nicht mehr, sondern liefen hinaus, um in den knietiefen Pfützen zu spielen.
Die Frauen trockneten die Tränen, schürten das Herdfeuer neu, und die Männer gingen, um nach den Weinstöcken und Olivenhainen zu sehen.
Isabella, der Conte di Algari, der Kaufmann Panzacchi und der am Mittag angekommene Inquisitor aus Florenz, Monsignore Calzoni, hatten das Unwetter in der Burghalle unbeschadet überstanden. Jetzt, nachdem alles vorbei und ruhig war, wischte Isabella die schweißfeuchten Hände an ihrem Kleid ab und sagte: »Kaum haben wir die Hexe im Haus, geschieht ein Unwetter, das seinesgleichen sucht.«
»Unfug!«, sagte der Conte. »Rosaria mag eine Hexe sein, mag den bösen Blick haben, doch Wetter hexen, das kann sie nicht. Nein, das glaube ich nicht.«
Der Monsignore wiegte bedächtig den Kopf hin und her.
»Man kann nie wissen, was in den Hexenköpfen so vor sich geht und wie weit ihre Macht reicht. Aber Hexen, die vom Teufel die Macht bekamen, Liebeszauber anzurichten und Menschen zu verhexen, für die dürfte ein Wetterzauber keine große Herausforderung sein.«
Calzoni bekreuzigte sich und sah den Conte mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Ihr, Conte di Algari, sagtet doch, dass es ein Liebeszauber war, der auf Eurer Burg vor sich ging. Habt Ihr Eure Meinung geändert?«
»Nein!«, beeilte sich der Conte zu versichern. »Nein, gewiss nicht. Morgen wird Rosaria der Prozess gemacht. Und wenn sie gesteht, eine Hexe zu sein, nun, dann muss sie brennen.«
Isabella und ihr Vater nickten zufrieden.
»Gerechtigkeit muss sein«, fügte der Kaufmann hinzu und tätschelte seiner Tochter den Arm.
Als Rosaria am nächsten Morgen erwachte, wusste sie zuerst nicht, wo sie war. Tiefschwarze Dunkelheit und eine beinahe absolute Stille umgaben sie.
Bin ich tot?, überlegte die Olivenhändlerin. Doch dann fiel ihr ein, dass man sie am Vortag gefangen genommen und in das Verlies geworfen hatte.
Sie hörte, wie eine Tür aufgesperrt wurde, dann kamen schwere Schritte eine Treppe herunter. Wieder hörte sie einen Schlüssel. Ihre Tür öffnete sich knarrend, und einer der Wachmänner leuchtete mit einer Fackel in die Dunkelheit. Als er sah, dass Rosaria noch immer auf dem Stroh lag, nickte er zufrieden und stellte einen Blechnapf mit einer dünnen Suppe, einen Kanten Brot und eine Kanne Wasser auf den Boden.
»Esst und trinkt«, sagte er. »In zehn Minuten hole ich Euch zur Befragung durch den Inquisitor.«
Dann fiel die Tür ins Schloss. Rosaria hörte, wie die Schritte sich entfernten, und war allein. Sie kaute ein wenig auf dem Brotkanten herum, trank einige Schlucke von dem Wasser, das faulig schmeckte, dann ließ sie sich, unfähig, etwas anderes zu tun, zurück auf das Stroh sinken und wartete.
Sie dachte an Giacomo, und es war ihr ein Trost, dass er nicht auf der Burg war. Womöglich hätte er bei dem Versuch, sie zu retten, sogar sein eigenes Leben in Gefahr gebracht. Sie wusste, dass sie schon sehr bald gefoltert werden würde, und war froh, dass Giacomo der Anblick einer entwürdigten Rosaria erspart blieb, die man unter der Marter gezwungen hatte, Dinge zu gestehen, die sie nicht getan hatte.
Das Orakel hatte Recht, dachte Rosaria. Ich werde sterben – sterben, weil ich den Mann liebe, den ich nicht lieben darf. Ich werde mein Leben für die Liebe lassen und hoffe von ganzem Herzen, dass die Liebe meinen Tod überlebt.
Rosaria war bereit zu sterben. Das Leben hatte ihr nichts mehr zu bieten. Sie hatte alles verloren, und das Wenige, was sie noch hatte – die Freude an den Blumen und Tieren, der Gesang, die Freunde aus der Kolonne –, wog die Qual und das Leid um die vergebliche Mühe nicht auf.
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