Medaillon des Schicksals (German Edition)
Nein, Rosaria war sich sicher: Sie würde den Tod als Erlösung betrachten. Nur vor der Folter graute ihr. Zweimal schon hatte sie Frauen auf Marktplätzen gesehen, die direkt aus den Folterkammern der Inquisition zum Scheiterhaufen geführt worden waren. Frauen, an Körper und Seele zerbrochen, Schatten ihrer selbst, die nicht einmal mehr Tränen hatten. Diesen Frauen war alles genommen worden: die Familie, der Mann, Kinder, Gesundheit, Schönheit, Stolz, Ehre und Würde.
Rosaria betete leise: »Madonna, lass nicht zu, dass man auch mir die letzte Würde raubt. Lass mich vorher sterben, ich bitte dich. Habe ich nicht schon alles verloren? Madonna, ich bitte dich, stehe mir bei, lass mich die Folter ertragen, ohne meinen Stolz bis auf den letzten Rest einzubüßen. Mehr erbitte ich nicht, nur dieses eine noch.«
Rosaria horchte auf und setzte sich dann aufrecht ins Stroh. Sie hörte Schritte, die ankündigten, dass sie kamen, um sie zu holen. Sie straffte die Schultern, richtete ihre Kleidung, strich sich über das Haar. Sie stand auf, goss das restliche Wasser aus der Kanne über die Hände und reinigte notdürftig ihr Gesicht. Dann umfasste sie das Medaillon, dessen Geheimnis sie noch immer nicht kannte, mit beiden Händen, führte es an ihren Mund und küsste es.
»Paola, Mutter«, flüsterte sie. »Bald bin ich bei dir.«
Als die Wachmänner das Verlies aufschlossen, stand Rosaria hoch aufgerichtet vor ihnen und sah ihnen gerade und ohne Angst in die Augen.
»Tut, was Ihr tun müsst«, sagte sie mit klarer, heller Stimme und streckte den Männern ihre beiden Handgelenke hin, damit diese sie aneinander binden konnten.
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18. Kapitel
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Raffael hatte sich inzwischen von seiner Kopfverletzung erholt und sogar das Unwetter verschlafen. Als er am Morgen darauf beim Frühstück in der Schänkstube des Wirtshauses saß, bemerkte er die Abwesenheit seiner neu gewonnenen Freunde.
»Wo sind die Reiter hin?«, fragte er Belina, zog sie auf seinen Schoß und küsste sie.
Belina machte sich los und sah mit einer Mischung aus Trotz und Scham auf den jungen Mann. Am liebsten hätte sie gelogen, doch Raffael gefiel ihr. Sie wünschte, er würde hier bleiben. Deshalb entschloss sie sich, eine mögliche neue Liebe nicht mit einer Lüge zu beginnen, und erwiderte schließlich: »Es waren die Wachmänner des Conte di Algari. Sie waren auf der Suche nach einer jungen Frau namens Rosaria.«
Sie schwieg und sah ihn an, dann sprach sie langsam weiter.
»Sie waren auch auf der Suche nach ihrem Helfer, einem Feuerschlucker mit Namen Raffael.«
Raffael erinnerte sich an das, was er im Weinrausch erzählt hatte, und stöhnte auf.
Belina sprach weiter.
»Ich wollte nicht, dass sie dir etwas antun, dir als Hexenliebster den Prozess machen. Deshalb habe ich mit den Reitern eine Übereinkunft getroffen: Ich finde heraus, wo sich Rosaria aufhält, dafür lassen sie dich laufen.«
Raffael sprang auf und schüttelte Belina.
»Hast du ihnen etwa gesagt, wo sie Rosaria finden? Rede!«
Belina nickte und flüsterte voller Schuldbewusstsein: »Ich wollte dir doch nur helfen!«
»Sie wird brennen«, schrie Raffael. »Sie wird verbrannt werden. Oh, Madonna!«
Er ließ sich auf die Bank fallen, schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte verzweifelt.
»Das Orakel hat Recht«, murmelte er, und Belina musste sich sehr mühen, um seine Worte zu verstehen. »Es hat Recht. Rosaria wird ihr Leben für die Liebe geben müssen, und ich, ihr Verlobter, bin mitschuldig an ihrem Tod.«
Belina erschrak, als sie die Worte hörte.
»Erzähl mir alles«, bat sie. »Vielleicht ist ihr noch zu helfen.«
Und Raffael erzählte. Er sprach von der gemeinsamen Kindheit, von dem Orakel zu ihrem 18. Geburtstag, von der Verlobung, berichtete auch, was sich auf der Burg di Algari zugetragen hat. Beim Reden blickte er starr vor sich hin. Als er geendet hatte, sah er Belina an und sagte: »Ich dachte, ich würde Rosaria lieben. Und das stimmt auch, ich liebe sie. Doch unsere Liebe ist die von Geschwistern. Rosaria hat es eher gewusst als ich. Erst seit ich dich kenne, weiß ich, wie sich die Liebe zwischen Mann und Frau wirklich anfühlt.«
Belina errötete unter Raffaels Worten wie unter einer heißen, glühenden Sonne.
Plötzlich hatte sie einen Einfall.
»Du bist mit zwei Pferden gekommen, nicht wahr?«
Raffael nickte. »Was hat das jetzt noch für eine Bedeutung?«, fragte er mutlos.
»Wir reiten zu Lorenzo di Medici nach Florenz. Vielleicht kann
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