Medea. Stimmen
Saal hat diesen peinlichen Vorfall miterlebt, auch Akamas, auch Presbon, einer seiner pompösen Aufführungen zur Verherrlichung des Königshauses wurde so ein verfrühtes, ungutes Ende bereitet. Ich aber mußte die Unglückliche mit Wasser besprengen, mußte ihren wild hin und her schlagenden Kopf halten, mußte schließlich neben der Bahre herlaufen, auf der man sie in ihre Gemächer brachte, wo ich sie mit Kräuterumschlägen und einigen Handgriffen zu sich zu bringen suchte, wobei ich höllisch aufpassen mußte, daß ich den übrigens ratlosen Ärzten des Königs den Vortritt ließ und später meinen Anteil an der Wiederherstellung der armen Glauke nicht erwähnte.
Erst an der Schärfe und Inständigkeit des Verhörs, dem Akamas mich unterzog, begriff ich, wie ernst erdie Mitteilung nahm, die ich ihm gemacht hatte. Begriff, in welche Gefahr Medea sich gebracht hatte. Das gefiel mir, nur durfte sie mich um keinen Preis in diese Gefahr mit hineinziehen. Ich brauchte all meine Überzeugungskraft, dem Akamas glaubhaft zu machen, daß ich den beiden Frauen keinen Schritt weit gefolgt war und nicht die mindeste Ahnung hatte, was sich hinter dem Fell im Seitengang verbarg. Ich hoffe für dich, daß das stimmt, sagte er knapp, aber ich spürte, er glaubte mir. Erst später gab mir Presbon zu bedenken, Glauben oder Nichtglauben spiele bei Akamas keine Rolle, falls er sich doch noch dazu entschließen sollte, mich in den Untergang der Medea hineinzureißen; denn das sei doch wohl auch mir bei seinem Fragen deutlich geworden: Hier gehe es um Leben und Tod. Der Brocken, den wir da auf Medea gewälzt hatten, war größer, als wir gedacht hatten. Wäre ich auch zu Akamas gegangen, wenn ich das gewußt hätte, frage ich mich, und die Antwort steht klar vor mir: Ja. Auch dann. Und sogar dann, wenn dieser Brocken mich mit erschlagen würde.
Aber das soll er ja nicht, Akamas selbst verhindert es. Er braucht mich, und nicht nur in dem groben Sinn, der mir gleich einleuchtete: Natürlich brauchte er mich für das Zeugnis, das niemand glaubwürdiger abgeben konnte als ich. Er ließ mich dieses Spiel spielen, für das ich mich so gut eigne. Er brauchte mich für das Netz, in dem Medea sich verfangen hatte, noch ehe sie es ahnte. Da war ich Akamas zu Diensten, machte mich unentbehrlich. Wichtiger aber, das ging mir bald auf, war eine andere Wirkung, die ich auf ihn ausübte und der er sich überließ, bis er sie nicht mehr missenkonnte. Medea in ihrer Verblendung setzt ja auf die Stärken der Menschen, ich setze auf ihre Schwächen. So kitzelte ich jene Gelüste aus seinem etwas zu klein, etwas zu unansehnlich geratenen Körper und aus seinem etwas zu groß, etwas zu rund geratenen Kopf mit den leicht vorstehenden Glupschaugen hervor, die er sich selber nicht zugeben wollte und nach denen er dann, wie jeder Mann, der sich zu lange Zügel angelegt hat, süchtig werden mußte. Ich meine nicht die Liebe in ihren vielen Spielarten, gegen sie war Akamas gefeit. Ich meine die Gier, hemmungslos böse zu sein, die sich allerdings manchmal im Liebesspiel äußert.
Nicht bei Akamas. Er ist ja ein merkwürdig aus ungleichen Teilen zusammengesetzter Mann. Er lebt versteckt in sorgfältig zusammengebastelten Gedankengebäuden, die er für die Wirklichkeit hält, die aber keinen anderen Zweck haben, als ihm sein leicht wankendes Selbstbewußtsein zu stützen. Widerspruch hält er nicht aus, hochmütig gießt er versteckten und offenen Hohn über kleinere Geister aus, also über jedermann, da er allen überlegen sein muß. Ich erinnere mich an den Augenblick, als mir klar wurde, daß er wenig Menschenkenntnis hat und darauf angewiesen ist, in einem Gerüst von Grundsätzen zu leben, das niemand in Frage stellen darf, sonst fühlt er sich auf unerträgliche Weise bedroht. Einer dieser Grundsätze ist seine fixe Idee, er sei ein gerechter Mann. Ich wollte es kaum glauben, daß dies sein Ernst war, aber als er anfing, alles zusammenzutragen, was für Medea sprach, begriff ich, daß es ihm zupaß kommen mußte, wenn er Beweise gegen Medea in die Hand bekam. Daß ihm ihr Getue zum Hals heraushing. Daß er es satt hatte, auf ihre Unfehlbarkeitmit gleicher Unfehlbarkeit antworten zu müssen, um sich in ihrer Gegenwart nicht unterlegen zu fühlen. Ach, alle Arten von Wirkung, die diese Frau verbreitet, habe ich von Grund auf studiert.
Wenn ich mich irrte, konnte ich alles verlieren, aber ich setzte auf meinen Instinkt und unterbrach Akamas, als der
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