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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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anfing, Medeas gute Eigenschaften zu loben, mit der Frage, ob er das glaube, was er da sage. Presbon stockte der Atem, hat er mir später gestanden. Eine solche Unverschämtheit hat sich noch niemand gegen Akamas herausgenommen, seit er des Königs engster Ratgeber ist.
    Akamas hielt mitten im Satz inne, ich sah Überraschung in seinen Augen aufblitzen, und ein Interesse, auf das ich es allerdings angelegt hatte. Was ich meine, wollte er wissen. Da sagte ich, wenn ein Mensch sich so vollkommen und untadelig gebe wie Medea, dann müsse es doch irgendwo eine faule Stelle geben. Dann habe sie doch etwas zu verbergen. Dann wolle sie doch, indem sie anderen ein schlechtes Gewissen mache, vermeiden, daß jemand hinter diesen schönen Schleier blikke, den sie um sich gezogen habe. Er, Akamas, wisse das doch ganz genau.
    Akamas schwieg. Dann sagte er zu Presbon: Da hast du mir ja ein kluges Kind gebracht. Beinahe ein bißchen zu klug, meinst du nicht. Die Sache stand immer noch auf der Kippe. Da setzte ich das Mittel ein, das, ich habe es oft und oft erprobt, bei jedem Mann wirkt: Ich schmeichelte ihm schamlos. Ich sei nicht klüger als andere, sagte ich, und gewiß nicht so klug wie er. Manchmal allerdings hätte ich das Glück, jemandem, an dem mir liege, seine eigene Klugheit zeigen zu dürfen.
    Seitdem bewundert Presbon mich hemmungslos. Ich glaube, er hat es danach lange nicht gewagt, mit mir zu schlafen, weil er sich mir unterlegen fühlte. Und natürlich weil er Akamas nicht ins Gehege kommen wollte. Denn es hat sich ergeben, daß ich manchmal, wenn wir abends bestimmte Vorhaben besprochen haben, über Nacht bei ihm bleibe. Nun ja. Ein Mann kann wahrscheinlich nicht auf allen Gebieten glänzen, ich bin auch nicht erpicht darauf. Es fällt mir leicht, ihm das Gefühl zu geben, ein unübertrefflicher Liebhaber zu sein. Einen größeren Reiz als den, bei dem mächtigsten und klügsten Mann dieser Stadt zu liegen, könnte mir kein anderer verschaffen.
    So ist es jetzt, und das Schönste daran: Niemand kann sicher sein, daß es so bleibt. Alles ist in der Schwebe, das macht mir am meisten Spaß, jeder Tag ist ein Sprung in neues Wasser, jeder Tag fordert mich bis zum äußersten. Denn natürlich bleibt Akamas vor mir auf der Hut, und natürlich bleibe ich vor ihm auf der Hut, und natürlich weiß ich, daß der Teil seiner Seele, den er am meisten liebt, immer noch an Medea hängt, daß er also mit der einen Hand, derjenigen, die dem König gehört, gegen sie arbeitet, und mit der anderen, der, die er zum Herzen führt, wenn er sich vor ihr verneigt, das Unheil, das er ihr bereitet, wieder auszugleichen sucht. Mag sein, auch dabei ist Berechnung, so ist der Mensch, und schließlich erreichte er, daß sie lange vertrauensselig blieb. Übrigens spüre ich am Grund von Akamas’ schwer durchschaubarem Verhältnis zu Medea noch etwas anderes, kaum Benennbares. Denn wenn ich schlechtes Gewissen sage, treffe ich es nicht, und doch habe ich nicht nur bei Akamas, auch bei anderenKorinthern etwas gefunden, was sie, mehr noch als ihr Königshaus, aneinanderbindet, ohne daß sie es ahnen. Auf eine unterirdische, nicht nachweisbare Weise scheint sich das Wissen ihrer Vorfahren auf die späten Nachkommen zu übertragen, das Wissen, daß sie diesen Landstrich von den Ureinwohnern, die sie verachten, einst mit roher Gewalt erobert haben. Ich habe in Korinth niemals jemanden darüber sprechen hören, aber durch eine beiläufige Bemerkung des Akamas wurde mir eines Nachts mit einem Schlag klar, was Medea für ihn leistet, ganz ohne es zu wissen: Sie ermöglicht ihm, sich selbst zu beweisen, daß er auch zu einer Barbarin gerecht, vorurteilsfrei und sogar freundlich sein kann. Absurderweise sind diese Eigenschaften am Hof in Mode gekommen, anders als beim gemeinen Volk, das ohne Gewissensbisse und ohne Einschränkung seinen Haß auf die Barbaren auslebt. Die Aufgabe, Akamas dazu zu bringen, rückhaltlos gegen Medea zu arbeiten, spornt mich an.
    In der hochmütigsten Art, zu der er fähig ist, hat er uns bei unserer ersten Begegnung klargemacht, daß wir hohe Strafen zu erwarten hätten, wenn wir unsere Neugier nicht im Zaum hielten und herauszufinden suchten, was sich hinter jenem Fell verbirgt, hinter dem ich Merope und dann Medea hatte verschwinden sehen. Willig leisteten wir das heilige Versprechen, und da ich nicht lebensmüde bin, habe ich dieses Versprechen bis jetzt gehalten und werde es immer halten. Insgeheim hofften wir alle drei,

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