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Sicherheitsrats aufgegriffen. Dort hieß es, die wirtschaftliche Macht des Sowjetblocks entspreche etwa derjenigen Westeuropas, wobei das Bruttosozialprodukt der UdSSR etwa ein Viertel des BSP der Vereinigten Staaten betrage, während die Militärausgaben um etwa die Hälfte geringer seien. 49 Dennoch wurde eine umfassende Erhöhung der Militärausgaben gefordert, weil der Westen sonst »einen ernsthaften Rückgang der Wirtschaftsaktivitäten« zu befürchten hätte. Kurz darauf wurde der Militärhaushalt vervierfacht, wobei der Koreakrieg als Vorwand diente. Im übrigen spielte der Autor des Dokuments, Paul Nitze, die Bedeutung der im Text verstreuten Zahlen herunter, weil die »sowjetische Welt« zwar arm und unterentwickelt sei, aber »aus weniger mehr machen könne«. Ihre Schwäche war also ihre Stärke, ein Refrain, der immer wieder angestimmt wird, wenn wir die freie Welt vor »internen Aggressionen« bewahren. Wie bedroht muß unsere Existenz sein, wenn der Feind bösartigerweise den Vorteil der Schwäche nutzt, um uns zu überwältigen.
Mit den Jahren wuchs die Angst vor der Schwäche der Sowjetunion ebenso wie die Besorgnis über ihre Macht. Immerhin mußte der verantwortungsbewußte Stratege zu dem Schluß kommen, daß die USA in ihrer Existenz ernstlich bedroht sind und es daher notwendig ist, auf der Hut zu sein. Außerdem mußte sichergestellt werden, daß das Pentagon-System seine Aufgaben im In- und Ausland auch weiterhin wahrnehmen konnte. Wenn sich keine Rüstungslücken, Fenster der Verwundbarkeit, Bedrohungen durch Supermächte wie Grenada mehr hervorzaubern lassen, reicht immer noch die Vorstellung, die sowjetische Welt könne mehr durch weniger erreichen.
Das Problem ergab sich erneut Ende 1988, als Strategen in Gorbatschows unilateralen Abrüstungs-initiativen eine Gefahr für unsere Sicherheit zu entdecken hatten. Damals fand eine Konferenz des US-Luftwaffengeheimdienstes die Lösung. In einem Kommentar zu dieser Konferenz wies William V. Kennedy vom Army War College auf die schreckliche Einsicht hin, daß die Geheimdienste während der letzten 35 Jahre die sowjetische Bedrohung eklatant unterbewertet hätten, waren sie doch der Meinung gewesen, die Sowjetunion besitze »das raffinierteste, am besten organisierte und ausgerüstete Zivilschutzsystem der Welt - so raffiniert, daß es der UdSSR in einem Nuklearkonflikt einen vielleicht entscheidenden Vorteil verschaffen könnte«. Aber das Erdbeben in Armenien habe gezeigt, daß diese Einschätzung falsch war. Die Ineffizienz bei der Folgenbewältigung sei »so umfassend gewesen, daß ein US-Gouverneur oder ein Regierungsbeauftragter angesichts dieses Chaos der Lynchjustiz nur knapp entgangen wäre«. Offenbar war das eine erstaunliche Einsicht für die Geheimdienste, obwohl jeder, der mit den Verhältnissen in der Sowjetunion auch nur ein bißchen vertraut war, dies gewußt hätte. Diese Entdeckung, so Kennedy weiter, ziehe bestürzende Folgerungen nach sich. Schon sechs Wochen vor dem Erdbeben habe der Konferenz ein Arbeitspapier vorgelegen, in dem es warnend hieß: »Das interne Mißmanagement in der Sowjetunion und ein neu belebter Nationalismus können für den Weltfrieden eine größere Bedrohung darstellen als die seit 40 Jahren skizzierte Bedrohung durch eine kalkulierte sowjetische Aggression.« Eine »sowjetische Führung, die ihre sorgfältig ausgearbeiteten Pläne zerfallen und überall in der Region das Feuer des Nationalismus angefacht sieht, könnte in Panik geraten und sich in ein verzweifeltes internationales Abenteuer stürzen«. Das wird bisweilen die Theorie vom »verwundeten Bären« genannt. Das armenische Erdbeben bestätigte dann unsere schlimmsten Befürchtungen: Die Sowjetunion verfügt in der Zivilverteidigung über keine ausreichenden Kapazitäten und damit auch nicht über die Möglichkeit zu einem relativ risikofreien atomaren Erstschlag, vor dem die US-Falken doch immer gewarnt hatten. Jetzt sind wir wirklich gefährdet: Der verwundete Bär könnte zuschlagen. Natürlich dürfen wir angesichts einer so großen nationalen Krise nicht daran denken, unsere »Verteidigungskapazitäten« zu schwächen. 50
Solche Argumente ziehen nicht, wenn es darum geht, den Kosten der militärischen Aufrüstung ins Gesicht zu sehen. Aber ihre Zeit wird kommen, wenn es notwendig sein sollte, mit weiteren Kriegsabenteuern im Ausland die Machtbereiche zu sichern oder der High-Tech-Industrie kräftig unter die Arme zu greifen. Abgesehen
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