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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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sehr früh gekommen und saß allein in der vierten Reihe, als ein halbes Dutzend Studenten gemeinsam eintrat.
    Zuerst schenkten sie ihm keine Beachtung. Dann, als er Rob bemerkte, fragte der, den Ibn Sina Fadil genannt hatte: » Salam , wen haben wir denn da? Wie heißt du, Dhimmi ?«
    »Jesse ben Benjamin.«
    »Ah, der berühmte Gefängnisinsasse! Der jüdische Baderchirurg mit dem calãt des Schahs. Du wirst bald merken, daß man mehr als einen herrscherlichen Erlaß braucht, um Medicus zu werden.« Der Raum füllte sich allmählich. Mirdin Askari ging die Sitzreihen hinauf zu einem leeren Platz, und Fadil rief ihm zu: »Askari! Hier ist noch ein Hebräer, der ein Blutegel werden will.« Rob begann zu ahnen, was sein Drang, Medizinstudent zu werden, mit sich bringen würde, denn der eben eingetretene Lehrer für Philosophie, Sajjid Sa'di, sah sich im Saal um und entdeckte sein Gesicht, das ihm fremd war.
    »Wie lautet dein Name, Dhimmi ?«
    »Ich bin Jesse ben Benjamin, Herr.«
    »Jesse ben Benjamin, erzähl uns, wie Aristoteles die Beziehung zwischen Körper und Geist beschreibt.« Rob schüttelte den Kopf.
    »Es steht in seinem Werk >Über die Seele<«, ergänzte der Dozent ungeduldig.
    »Ich kenne das Buch >Über die Seele< nicht. Ich habe Aristoteles nie gelesen.«
    Sajjid Sa'di starrte ihn besorgt an. »Das mußt du sofort nachholen!« Rob verstand nur wenig von dem, was Sa'adi in seiner Vorlesung erzählte. Als sie zu Ende war und das Amphitheater sich leerte, ging Rob zu Mirdin Askari.
    »Ich soll dir die besten Wünsche von drei Männern aus Masqat überbringen, von Reb Lonzano ben Ezra, Reb Loeb ben Kohen und von deinem Vetter, Reb Arieh Askari.«
    »Ah. Verlief ihre Reise gut?«
    »Ich glaube schon.«
    Mirdin nickte. »Du bist ein Jude aus Europa, wie ich höre. Isfahan wird dir merkwürdig vorkommen, aber die meisten von uns kommen aus anderen Ländern.« Unter den Medizinstudenten, berichtete er, gebe es vierzehn Mohammedaner aus Ländern des Östlichen Kalifats, sieben Mohammedaner aus dem Westlichen Kalifat und fünf Ostjuden.
    »Dann bin ich also erst der sechste jüdische Student? Ich hätte gedacht, daß wir hier zahlreicher vertreten sind.«
    Mirdin sah Rob neugierig an. »Man sagt, du bist ein Baderchirurg. Stimmt das?«
    »Ja.«
    »Ich würde besser nicht darüber sprechen«, riet ihm Mirdin. »Die persischen Ärzte finden, daß Baderchirurgen...«
    »... nicht gerade bewundernswert sind?«
    »Sie sind nicht beliebt.«
    »Ich kümmere mich nicht darum, wer beliebt ist. Ich entschuldige mich nicht für meinen Stand.«
    »Das sollst du auch nicht«, meinte Mirdin. Dann nickte er kühl und verließ das Amphitheater.

    Bei der von einem fetten mullah namens Abul Bakr gehaltenen Vorlesung in islamischer Theologie erging es Rob kaum besser als beim Vortrag in Philosophie. Der Qu'ran war in einhundertvierzehn Kapitel unterteilt, die suras hießen. Die Länge der suras variierte von wenigen Zeilen bis zu mehreren hundert Versen, und zu Robs Verzweiflung erfuhr er, daß er die maärassa erst abschließen durfte, wenn er die wichtigen suras auswendig konnte.
    Während der nächsten Vorlesung, die der Meisterchirurg Abu Ubaid al'Juzjani hielt, wurde ihm befohlen, die >Zehn Abhandlungen über das Auge< von Hunam zu lesen. Al-Juzjani war klein, dunkelhäutig und furchterregend. Er sah seine Studenten mit starrem Blick an und schien in der gleichen Stimmung zu sein wie ein aus dem Winterschlaf geweckter Bär. Rob wurde angst und bang, wenn er daran dachte, wie viele wissenschaftliche Bücher er lesen mußte, aber al-Juzjanis Vorlesung über die Trübung, die die Augen so vieler Menschen befiel und ihnen die Sehkraft raubte, gefiel ihm. »Man glaubt, daß diese Blindheit dadurch verursacht wird, daß schädliche Flüssigkeit ins Auge dringt«, dozierte al-Juzjani. »Aus diesem Grund nannten frühe persische Ärzte die Krankheit Nazul-i-ab oder Eindringen von Wasser, was im Volksmund zu Wasserfallkrankheit oder Katarakt wurde.« Rob sah interessiert zu, als al-Juzjani einer toten Katze den Star stach. Bald danach verteilten seine Assistenten Tierleichen an die Studenten, damit sie die Technik an Hunden, Katzen und sogar Hennen üben konnten. Rob erhielt einen scheckigen Köter mit starren Augen und hochgezogenen Lefzen, dem die Vorderpfoten fehlten. Robs Hände zitterten, und er wußte eigentlich nicht, was er tun sollte. Aber er faßte Mut, als er sich daran erinnerte, daß Merlin Edgar Thorpe von seiner

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