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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Augenblick gesellte sich noch Ibn Sina zu ihnen, und Rob spürte die verstärkte Nervosität und die leichte Erregung, die sich immer bei der Anwesenheit des Arztes aller Ärzte einstellte.
    Sie kamen bald zu den Tumorpatienten. Auf einem Strohsack neben dem Eingang lag eine stille, hohläugige Gestalt, und sie blieben etwas entfernt von ihr stehen. »Jesse ben Benjamin«, forderte al-Juzjani Rob auf, »berichte uns von diesem Mann!«
    »Er heißt Ismail Ghazali. Er weiß nicht, wie alt er ist, gibt aber an, dass er in Khur während der großen Frühjahrsüberschwemmung geboren wurde. Ich habe erfahren, daß das vierunddreißig Jahre her ist.«
    Al-Juzjani nickte anerkennend.
    »Er hat Tumore im Hals, unter den Armen und in der Leistengegend, die ihm große Schmerzen bereiten. Sein Vater ist an der gleichen Krankheit gestorben, als Ismail Ghazali ein kleiner Junge war. Das Urinieren verursacht ihm schreckliche Schmerzen. Wenn er es tut, ist sein Urin tiefgelb und enthält Teilchen, die wie kleine rote Fäden aussehen. Er kann nur ein paar Löffel Schleimsuppe essen, ohne zu erbrechen, deshalb wird er mit besonders leichter Kost ernährt.«
    »Hast du ihn heute zur Ader gelassen?« fragte al-Juzjani.
    »Nein, Hakim.«
    »Warum nicht?«
    »Es ist überflüssig, ihm noch mehr Schmerzen zu bereiten.« Wenn Rob nicht an das Schwein gedacht und sich gefragt hätte, ob Ismail Ghazalis Körper von Blumenkohlgewächsen zerstört wurde, hätte er sich vielleicht nicht selbst diese Falle gestellt. »Beim Einbruch der Nacht wird er tot sein.«
    Al-Juzjani starrte ihn an.
    »Warum glaubst du das?« fragte Ibn Sina.
    Alle Augen waren auf Rob gerichtet, aber er war nicht so dumm, eine Erklärung abzugeben. »Ich weiß es«, antwortete er schließlich, und Fadil vergaß seine frischerworbene Würde und lachte schallend. Al-Juzjanis Gesicht wurde rot vor Zorn, doch Ibn Sina hob die Hand und zeigte damit an, daß sie weitergehen sollten.
    Der Vorfall dämpfte Robs Optimismus sehr. An diesem Abend war es ihm unmöglich zu studieren. Die Schule ist ein Fehler gewesen, dachte er. Es gibt nichts, das dich zu etwas machen kann, was du nicht bist, und vielleicht ist es an der Zeit zuzugeben, daß du nicht dazu bestimmt bist, Medicus zu werden.
    Am nächsten Morgen ging er in die Schule, hörte drei Vorlesungen und überwand sich am Nachmittag dazu, al-Juzjam bei seinem Patientenbesuch zu begleiten. Als sie sich auf den Weg machten, schloß sich ihnen zu Robs Verzweiflung wie am Vortag Ibn Sina an. In der Tumorabteilung lag auf dem Strohsack neben der Tür ein junges Bürschchen.«
    »Wo ist Ismail Ghazali?« fragte al-Juzjani den Pfleger. »Er ist in der Nacht verstorben, Hakim.«
    Al-Juzjani gab keinen Kommentar ab. Als sie weitergingen, behandelte er Rob mit der eisigen Verachtung, die einem fremden Dhimmi gebührt, der zufällig richtig geraten hat.
    Nachdem sie jedoch den Rundgang beendet hatten und entlassen worden waren, spürte Rob eine Hand auf seinem Arm. Er drehte sich um und blickte in die beunruhigenden Augen des alten Mannes. »Ihr kommt heute zum Abendessen zu mir«, bestimmte Ibn Sina.

    Rob war nervös und voll Erwartung, als er an diesem Abend den Anweisungen des Arztes aller Ärzte folgte und auf seinem braunen Wallach über die Allee der Tausend Gärten zu jener Straße ritt, die zu Ibn Sinas Haus führte.
    Er erwies sich als riesiger, aus Steinen errichteter Wohnsitz mit zwei Türmen, der von terrassenförmig angelegten Obst- und Weingärten umgeben war. Auch Ibn Sina hatte vom Schah einen calãt erhalten, aber erst, als er berühmt war. Rob wurde von einem Torhüter, der ihn erwartet hatte und ihm das Pferd abnahm, in den von einer Mauer umgebenen Besitz eingelassen. Der Weg zum Haus bestand aus so fein zermahlenen Steinen, daß seine Schritte wie Flüstern klangen. Als er sich dem Haus näherte, ging eine Seitentür auf, und eine Frau trat heraus. Sie war jung und anmutig, trug einen roten, an der Taille engen, an den Säumen mit Flitterwerk verzierten Samtmantel über einem losen Baumwollkleid mit aufgedruckten gelben Blumen, und obwohl sie sehr klein war, schritt sie wie eine Königin. Mit Perlen besetzte Bänder umschlossen ihre Knöchel, an denen die scharlachrote Hose eng zusammengezogen war und mit Wollfransen über anmutigen, nackten Fersen endete. Ibn Sinas Tochter - falls sie das war - schaute ihn mit großen, dunklen Augen ebenso neugierig an, wie er sie musterte, bevor sie, dem Islam gehorchend, ihr

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