Medicus 01 - Der Medicus
ihn interessiert. »Du bist fast jede Nacht hier gewesen und bist jetzt gesättigt. Wenn ich in zwei Wochen Wasif schicke, wirst du kommen?« Er küßte sie auf die Nase knapp über dem Ring.
Elf Nächte später klopfte Wasif an seine Tür.
Despina hätte beinahe recht behalten, denn Rob geriet in große Versuchung und wollte schon zustimmend nicken. Doch dann schüttete er den Kopf. »Sage ihr, ich kann nicht mehr zu ihr kommen.« Drei Tage später starb Reza die Fromme, während die muezzins der Stadt das erste Gebet sangen - eine passende Zeit für das Ende eines frommen Lebens.
In der madrassa und im maristan sprachen die Leute darüber, wie Ibn Sina mit eigenen Händen den Leichnam seiner Frau gewaschen und gesalbt hatte, und über das einfache Begräbnis, zu dem er nur ein paar betende mullahs zugelassen hatte. Ibn Sina betrat weder die Schule noch das Krankenhaus. Niemand wußte, wo er sich aufhielt. Eine Woche nach Rezas Tod traf Rob eines Abends al-Juzjani, der am zentralen maidan trank.
»Setz dich, Dhimmi «, forderte al-Juzjani Rob auf und bestellte weiteren Wein.
»Hakim, wie geht es dem Arzt aller Ärzte?«
Es war, als wäre die Frage nicht gestellt worden. »Er hält dich für etwas Besonderes, für einen besonderen Studenten«, behauptete al-Juzjani verstimmt.
Wäre er nicht diensttuender Student und wäre al-Juzjani nicht der große Medicus gewesen, hätte Rob angenommen, daß der andere auf ihn eifersüchtig war.
»Wenn du kein besonderer Student bist, Dhimmi , mußt du mit mir rechnen.« Al-Juzjani sah ihn mit funkelnden Augen an, und Rob erkannte, daß der Chirurg ziemlich betrunken war. Sie schwiegen, als der Wein gebracht wurde.
»Ich war siebzehn Jahre alt, als wir uns in Jurjãn kennengelernt haben. Ibn Sina war nur ein paar Jahre älter als ich, aber Allah! Mir war, als blicke ich geradewegs in die Sonne. Mein Vater hat dann das Abkommen getroffen, daß mich Ibn Sina in Medizin unterrichten soll, ich würde sein Gehilfe sein.« Al-Juzjani trank nachdenklich.
»Ich bediente ihn. Er lehrte mich Mathematik, wobei er den >Almagest< als Lehrbuch verwendete. Und er diktierte mir mehrere Bücher, einschließlich des ersten Teils von >Der Kanon der Medizin<, fünfzig Seiten jeden goldenen Tag. Als er Jurjãn verließ, folgte ich ihm in ein halbes Dutzend Orte. In Hamadhãn ernannte ihn der Emir zum Wesir, aber die Armee rebellierte, und Ibn Sina wurde ins Gefängnis geworfen. Zuerst sagten sie, sie würden ihn töten, aber er wurde freigelassen - der glückliche Sohn einer Stute! Bald wurde der Emir von einer Kolik geplagt, und Ibn Sina heilte ihn, worauf er zum zweitenmal das Wesirsamt erhielt. Ich blieb bei ihm, ob er nun Arzt, Gefangener oder Wesir war. Er war nicht nur mein Meister, sondern auch mein Freund. Jeden Abend versammelten sich Schüler in seinem Haus, während ich abwechselnd laut aus seinem Buch >Heilen< vorlas und jemand anderer aus dem >Kanon< las. Reza sorgte dafür, daß wir immer gutes Essen bekamen. Wenn wir fertig waren, tranken wir eine Menge Wein, gingen aus und suchten uns Frauen. Er war der lustigste Gefährte und beim Feiern ebenso gut wie beim Arbeiten. Er hatte Dutzende schöner Punzen - wahrscheinlich fickte er hervorragend, übertraf er ja in allen Belangen die meisten Männer. Reza wußte immer davon, aber sie liebte ihn dennoch.«
Er schaute weg.
»Jetzt ist sie begraben, und er ist verbraucht. Er schickt alte Freunde weg, und jeden Tag geht er allein durch die Stadt und gibt den Armen Almosen.«
»Hakim«, sagte Rob sanft.
Al-Juzjani starrte ihn an.
»Hakim, soll ich Euch nach Hause bringen?«
»Fremdling, ich möchte, daß du mich jetzt in Ruhe läßt.«
Also nickte Rob, dankte ihm für den Wein und ging.
Rob wartete noch eine Woche, dann ritt er am hellichten Tag zu Ibn Sinas Haus und ließ sein Pferd bei dem Mann am Tor zurück.
Der Alte war allein. Seine Augen blickten sanft. Er saß mit Rob behaglich beisammen, sie sprachen manchmal, dann wieder schwiegen sie.
»Wart Ihr schon Medicus, als Ihr sie geheiratet habt, Herr?«
»Ich wurde mit sechzehn hakim . Verheiratet hatte man uns, als ich zehn war, in dem Jahr, als ich den Qu'ran auswendig lernte und mit dem Studium der Heilkräuter begann.«
Rob war beeindruckt. »In diesem Alter versuchte ich, ein Scharlatan und ein Baderchirurg zu werden.« Er erzählte Ibn Sina, wie der Bader den Waisenknaben als Lehrling aufgenommen hatte.
»Was war der Beruf deines Vaters?«
»Er war
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