Medicus 01 - Der Medicus
Zimmermann.«
»Ich weiß über die europäischen Zünfte Bescheid. Ich habe gehört, daß es in Europa sehr wenige Juden gibt und daß sie nicht in die Zünfte aufgenommen werden.«
Er weiß wirklich Bescheid, dachte Rob verzweifelt. »Ein paar werden zugelassen«, murmelte er.
Ibn Sinas Augen schienen ihn sanft zu durchbohren. Rob war davon überzeugt, daß ihn der alte Mann durchschaut hatte. »Du sehnst dich verzweifelt danach, die Heilkunst und die Wissenschaft zu erlernen.«
»Ja, Herr.«
Ibn Sina seufzte, nickte und blickte an ihm vorbei. Rob stellte erleichtert fest, daß seine Angst unbegründet gewesen war, denn sie sprachen bald von anderen Dingen.
Ibn Sina erinnerte sich, wie er als Junge Reza kennengelernt hatte. »Sie stammt aus Buchãrã, ein Mädchen, das um vier Jahre älter war als ich. Unsere Väter waren beide Steuereinnehmer, und die Hochzeit wurde freundschaftlich vereinbart. Nur eine kleine Schwierigkeit tauchte auf, weil ihr Großvater einwendete, daß mein Vater ein Ismaili war, der während des heiligen Gottesdienstes Haschisch rauchte. Wir wurden aber dennoch getraut. Sie war mir mein Leben lang treu.« Der alte Mann sah Rob an. »Du hast das Feuer noch in dir. Was strebst du an?«
»Ich will ein guter Medicus werden.« Von der Art, wie nur Ihr sie ausbilden könnt, fügte er im Geist hinzu.
Doch Ibn Sina hatte ihn bestimmt verstanden.
»Du bist bereits ein Heiler. Was das Verdienst betrifft...« Ibn Sina zuckte mit den Achseln. »Um ein guter Medicus zu sein, muß man imstande sein, die Lösung eines unlösbaren Rätsels zu finden.«
»Und wie lautet die Frage?« erkundigte sich Rob verblüfft. Doch der alte Mann lächelte schmerzlich. »Vielleicht kannst du sie eines Tages herausfinden. Das gehört zu dem Rätsel.«
Die Prüfung
An dem Nachmittag, an dem Karims Prüfung stattfand, verrichtete Rob seine gewohnten Tätigkeiten mit besonderer Energie und Aufmerksamkeit. Er versuchte, nicht an die Szene zu denken, die sich bald im Sitzungsraum neben dem Haus der Weisheit abspielen würde. Er und Mirdin hatten Jussuf-al-Gamal, den freundlichen Bibliothekar, als Komplizen und Spion angeworben. Während er seinen Pflichten in der Bibliothek nachging, konnte Jussuf die Zusammensetzung der Prüfungskommission in Erfahrung bringen. Mirdin wartete draußen auf die Neuigkeiten, die er unverzüglich an Rob weitergab. »Er hat Sajjid Sa'di in Philosophie«, hatte Jussuf Mirdin berichtet, bevor er wieder in den Saal eilte, um mehr zu erfahren. Das war nicht schlecht; der Philosoph war schwierig, würde sich aber nicht bemühen, den Kandidaten durchfallen zu lassen.
Doch von da an waren die Nachrichten niederschmetternd. Nadir Bukh, der autokratische, spitzbärtige Paragraphenreiter, der Karim bei der ersten Prüfung hatte durchfallen lassen, würde in Rechtskunde prüfen. Der mullah Abul Bakr würde die theologischen Fragen stellen, und der Arzt aller Ärzte würde höchstpersönlich in Medizin prüfen. Rob hatte gehofft, daß Jalal-al-Din der Prüfungskommission für Chirurgie angehören würde, aber Rob sah Jalal, der seine üblichen Pflichten erfüllte und Patienten behandelte. Und nun kam Mirdin hereingelaufen und flüsterte, daß das letzte Mitglied eingetroffen sei. Es war Ibn al-Natheli, den keiner von ihnen gut kannte. Rob ging nach der Arbeit ins Haus der Weisheit, setzte sich, las Celsus und versuchte dabei zu hören, was im Prüfungszimmer gesprochen wurde. Er vernahm aber nur ein unverständliches Murmeln. Schließlich gab er seine Bemühungen auf, ging hinaus und wartete auf den Stufen der madrassa , wohin ihm Mirdin nachkam.
»Sie sind noch drinnen.«
»Ich hoffe, es zieht sich nicht allzu sehr in die Länge«, meinte Mirdin. »Karim kann eine überlange Prüfung nicht durchstehen.«
»Ich bin nicht sicher, ob er überhaupt eine Prüfung durchsteht. Heute morgen hat er eine Stunde lang erbrochen.«
Nachdem sie länger, als sie es für möglich gehalten hatten, gewartet hatten, stand Rob auf. »Hier kommt er!«
»Kannst du etwas von seinem Gesicht ablesen?« fragte Mirdin. Rob konnte es nicht, aber noch bevor Karim sie erreicht hatte, schrie er die Neuigkeit heraus. »Ihr müßt mich von nun an Hakim anreden, Studenten!«
Sie rannten die Stufen hinunter. Alle drei umarmten einander, tanzten und schrien, trommelten mit den Fäusten aufeinander ein und vollführten einen solchen Krach, daß Hadschi Davout Hosein, der an ihnen vorbeiging, ihnen vorwurfsvoll sein vor
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