Medicus 01 - Der Medicus
kommen, wie es bei uns jungen Prinzen Brauch ist. Das ist sehr vernünftig. Meine Tante war zärtlich und erfahren, fast wie eine Mutter. Ich dachte jahrelang, daß hinterher jedesmal eine Schale warmer Milch und Zuckerwerk kommen muß.«
Sie lagen zufrieden im Wasser.
»Ich möchte der König der Könige sein, Europäer«, sagte Alã schließlich.
»Ihr seid der König der Könige.«
»So werde ich genannt.«
Jetzt schlug er die Augen auf und schaute Rob direkt an, ohne zu blinzeln. »Xerxes. Alexander. Cyrus. Darius.
Alles große Männer, und wenn sie auch nicht alle Perser von Geburt waren, starben sie als persische Könige, als große Herrscher über große Reiche. Jetzt gibt es kein einheitliches Reich mehr. In Isfahan bin ich der König. Im Westen regiert Toghrul-beg über große Stämme von nomadischen Seldschuken. Im Osten regiert Sultan Mahmud die Bergfesten von Ghazna. Jenseits von Ghazna herrschen zwei Dutzend schwache Rajahs in Indien, aber sie stellen nur untereinander eine Bedrohung dar. Die einzigen Herrscher, die stark genug sind, um von Bedeutung zu sein, sind Mahmud, Toghrul-beg und ich. Wenn ich hinausreite, stürzen die chawns und beglerbegs , die die Städte und Stadtstaaten regieren, aus ihren Mauern, um mir Tribut zu zahlen und mir kriecherisch Ehrenbezeigungen zu erweisen. Ich weiß aber, daß die gleichen chawns und beglerbegs sowohl Mahmud als auch Toghrul-beg huldigen würden, wenn sie ihr Heer dorthin führten. Früher, in alten Zeiten, kämpften kleine Königreiche und Könige, um ein gewaltiges Reich zu erwerben. Schließlich hielten nur noch zwei Männer die ganze Macht in Händen. Ardashir und Ardewan traten einander im Zweikampf gegenüber, während ihre Heere zusahen. Zwei große, gepanzerte Männer umkreisten einander in der Wüste. Der Kampf endete damit, daß Ardewan mit einer Keule erschlagen wurde und Ardashir der erste Mann war, der den Titel Shahanshah annahm. Wärst du nicht gern so ein König der Könige?«
Rob schüttelte den Kopf. »Ich will nur ein Medicus sein.« Er sah das Staunen auf dem Gesicht des Schahs.
»Etwas Neues! In meinem ganzen Leben hat noch niemand eine Gelegenheit versäumt, mir zu schmeicheln.
Doch du würdest mit dem Herrscher nicht tauschen wollen, das ist klar. Ich habe mich über dich erkundigt. Es heißt, daß du als Schüler bemerkenswert bist. Daß große Dinge von dir erwartet werden, wenn du einmal bakim wirst. Ich werde Männer brauchen, die großer Taten fähig sind und nicht meinen Hintern küssen. Ich werde mich der Tücke und der Macht des Thrones bedienen, um Qandrasseh abzuwehren. Die Schahs mußten immer kämpfen, um Persien zu behalten. Ich werde meine Heere und mein Schwert gegen die anderen Könige wenden.
Bevor ich sterbe, wird Persien wieder ein großes Reich sein, und ich werde mich mit Berechtigung Shahanshah nennen.«
Seine Hand faßte Robs Handgelenk. »Willst du mein Freund sein, Jesse ben Benjamin?«
Rob wußte, daß er von einem schlauen Jäger geködert und in die Falle gelockt worden war. Alã versicherte sich seiner zukünftigen Treue für seine Zwecke. Und er ging dabei kühl und berechnend vor. In diesem Monarchen steckte eindeutig mehr als ein betrunkener Wüstling. Rob hätte sich aus eigenem Antrieb nie dazu entschlossen, sich mit Politik zu befassen, und er bedauerte, daß er an diesem Morgen mit aufs Land hinausgeritten war. Aber es war geschehen, und er wußte genau, daß er in der Schuld des Schahs stand.
Er ergriff das Handgelenk des Schahs. »Ich bin Euer Gefolgsmann, Majestät.«
Alã nickte. Er tauchte wieder in den heißen Teich ein und kratzte sich auf der Brust. »So. Und gefällt dir mein Lieblingsort?«
»Es stinkt hier so schwefelig wie ein Furz, Majestät.« Alã war kein Mann, der schallend lachte.
Er öffnete nur die Augen und lächelte. Schließlich sagte er wieder etwas: »Du kannst ruhig eine Frau mit hierher bringen, wenn du Lust hast, Dhimmi «, gestattete er träge.
»Mir gefällt das nicht«, meinte Mirdin, als er hörte, daß Rob mit Alã ausgeritten war. »Er ist unberechenbar und gefährlich.«
»Es ist eine große Chance für dich«, sagte dagegen Karim. »Aber eine Chance, die ich gar nicht haben will«, erwiderte Rob. Zu seiner Erleichterung vergingen Tage, und der Schah rief ihn nicht wieder zu sich.
Er hatte das Bedürfnis nach Freunden, die keine Herrscher waren, und verbrachte einen großen Teil seiner Freizeit mit Mirdin und Karim.
Karim gewöhnte sich an das
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