Medicus 01 - Der Medicus
damit seinen Gegner in die Falle. Er benutzte seine beiden Elefanten geschickter, als Hannibal seine siebenunddreißig eingesetzt hatte. Rob wehrte sich hartnäckig und wandte alle Feinheiten an, die Mirdin ihn gelehrt hatte, und doch dauerte es nicht lange, bis er shahtreng war. Als die beiden das Spiel beendeten, applaudierten die Höflinge zum Sieg des Herrschers, und Alã sah zufrieden aus. Der Schah zog einen massiven Goldring vom Finger und legte ihn in Robs rechte Hand. »Ich komme auf den calãt zurück. Ich vergebe ihn jetzt. Du sollst ein Haus bekommen, das groß genug für eine königliche Unterhaltung ist.« Mit einem Harem. Und Mary in dem Harem, schoß es Rob durch den Kopf.
Die Edelleute sahen und hörten zu.
»Ich werde diesen Ring mit Stolz und Dankbarkeit tragen«, sagte er. »Was den calãt betrifft, bin ich schon dank Eurer Majestät früherer Großzügigkeit glücklich, und ich werde in meinem Haus bleiben.« Seine Stimme war ehrerbietig, aber sie klang entschieden, und er wandte den Blick nicht sofort ab, um seine Demut zu zeigen. Alle Anwesenden hörten den Dhimmi diese herausfordernden Worte sprechen.
Am folgenden Morgen kamen sie Ibn Sina zu Ohren. Nicht umsonst war der Arzt aller Ärzte zweimal Wesir gewesen. Er besaß Informanten bei Hof und unter den Dienern im Haus des Paradieses, und er erfuhr aus mehreren Quellen von der unbesonnenen Torheit seines Assistenten.
Wie immer in kritischen Augenblicken dachte Ibn Sina nach. Ihm war klar, daß der König auf seine Anwesenheit in der Hauptstadt berechtigterweise stolz war, weil sie ihn in die Lage versetzte, sich als Monarch mit dem Kalifen von Bagdad als Förderer der Kultur und der Wissenschaft zu vergleichen. Ibn Sina wußte auch, daß sein Einfluß begrenzt war. Eine direkte Bitte seinerseits würde Jesse ben Benjamin nicht retten.
Alã träumte sein ganzes Leben lang, einer der größten Schahs zu sein, ein Herrscher mit einem unsterblichen Namen. Jetzt bereitete er sich auf einen Krieg vor, der ihm entweder Unsterblichkeit oder Vergessensein bescheren würde, und in diesem Augenblick konnte er unmöglich jemandem gestatten, sich seinem Willen zu widersetzen. Ibn Sina wußte, daß der König Jesse ben Benjamin töten lassen würde. Vielleicht hatten unbekannte Handlanger bereits Befehl erhalten, auf der Straße über den jungen hakim herzufallen, oder er würde vielleicht von Soldaten verhaftet und von einem islamischen Gericht verhört und abgeurteilt werden. Alã war zu jeder politischen List fähig und würde die Hinrichtung dieses Dhimmi auf eine Art benutzen, die ihm den größten Vorteil brachte.
Ibn Sina hatte Alã Schah nicht umsonst jahrelang beobachtet, und er wußte, wie das Hirn des Königs funktionierte. Er wußte, was geschehen mußte. An diesem Morgen rief er seinen Stab im manstan zusammen.
»Wir haben gehört, daß in der Stadt Idhaj etliche Bürger so schwer erkrankt sind, daß sie nicht hierher ins Krankenhaus reisen können«, erklärte er, und das entsprach auch den Tatsachen. »Infolgedessen«, wandte er sich an Jesse ben Benjamin, »müßt Ihr nach Idhaj reiten und für die Behandlung dieser Menschen sorgen.« Nachdem sie über die Krauter und Drogen gesprochen hatten, die er auf einem Packtiet mitnehmen sollte, und über die Medikamente, die es in der Stadt gab, verabschiedete sich Jesse und machte sich unverzüglich auf den Weg.
Idhaj - das bedeutete einen langen, mühsamen, dreitägigen Ritt nach Süden, und die Behandlung würde zumindest weitere drei Tage in Anspruch nehmen. Dadurch gewann Ibn Sina mehr als genug Zeit. Am nächsten Nachmittag ritt er allein in die Jehuddijeh, direkt zum Haus seines Assistenten. Die Frau kam mit dem Kind auf dem Arm zur Tür. Überraschung und kurzzeitig auch Verwirrung zeichneten sich auf ihrem Gesicht ab, als der Arzt aller Ärzte auf ihrer Schwelle stand, aber sie faßte sich rasch und führte ihn mit gebührender Hochachtung ms Innere. Das Haus war einfach, aber sauber gehalten, und mit den Wandbehängen und den Teppichen auf dem Lehmboden wirkte es behaglich. Mit erstaunlicher Flinkheit stellte Mary eine irdene Schüssel mit süßem Gewürzkuchen sowie ein Scherbett aus Rosenwasser mit Ingwergeschmack vor Ibn Sina.
Er hatte nicht daran gedacht, daß sie nicht Persisch konnte. Als er sich mit ihr verständigen wollte, stellte sich schnell heraus, daß sie nur ein paar Brocken sprach. Er wollte aber ausführlich und eindringlich mit ihr reden, wollte ihr sagen, daß
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