Medicus 01 - Der Medicus
auf und ging in den maristan , wo auch nicht alles in Ordnung war. Vier Pfleger hatte Ibn Sina als Bahrenträger und zum Einsammeln der Verwundeten ins Heer übernommen, und al-Juzjani hatte noch keinen Ersatz gefunden, der seinen Anforderungen entsprach. Die im maristan verbliebenen Pfleger waren überarbeitet und mürrisch. Rob besuchte die Patienten und kam seinen ärztlichen Verpflichtungen ohne Hilfe nach. Manchmal reinigte er etwas, das ein Pfleger aus Zeitmangel versäumt hatte, oder er wusch ein fiebriges Gesicht oder holte Wasser, um einen trockenen, durstigen Mund anzufeuchten. Er stieß auf Qasim Ibn Sahdi, der bleich und stöhnend dalag; der Boden neben ihm war von Erbrochenem beschmutzt. Qasim, dem übel geworden war, hatte seine Kammer neben dem Leichenhaus verlassen und von sich aus einen Platz als Kranker eingenommen weil er wußte, daß Rob ihn auf seinem Weg durch den maristan finden würde. Er hatte in der letzten Woche mehrere Anfälle gehabt.
»Warum habt Ihr es mir nicht gemeldet?«
»Herr, ich hatte meinen Wein. Ich habe ihn getrunken, und der Schmerz verging. Doch jetzt hilft der Wein auch nicht mehr, Hakim, und ich kann den Schmerz kaum ertragen.«
Seine Stirn fühlte sich fiebrig an, aber nicht brennend heiß, und sein Unterleib war wohl empfindlich, aber weich. Manchmal keuchte er vor Schmerzen wie ein Hund, seine Zunge war belegt, und sein Atem roch übel.
»Ich werde Euch einen Trunk zubereiten.«
»Allah wird Euch dafür segnen, Herr!«
Rob ging sofort zur Apotheke. Er mischte Betäubungsmittel und buing in den Rotwein, den Qasim so liebte, dann eilte er zu seinem Patienten zurück. Die Augen des alten Hüters des Leichenhauses waren von ängstlicher Ahnung erfüllt, als er das Gebräu trank. Als Rob den maristan verließ, sah er, daß die ganze Stadt auf den Beinen war, um die Soldaten zu verabschieden. Er folgte den Leuten auf die maidans , wo das Gedränge der Menge fürchterlich war, nicht weniger das Stimmengewirr.
Rob bekam Ibn Sina nicht zu Gesicht, dafür erschienen die königlichen Musikanten. Einige bliesen auf langen, goldenen Trompeten, andere schlugen Silberglöckchen und kündigten das Herannahen des großen Elefanten Alãs an. Der mahout war weiß gekleidet, und der Schah trug blaue Seide und einen roten Turban, das war seine Kriegskleidung.
Als er seine Hand königlich grüßend erhob, wußten die Menschen, daß ihnen damit Ghazna versprochen wurde.
Rob betrachtete den steif aufgerichteten Rücken des Schahs. In diesem Augenblick war Alã nicht Alã: Er war Xerxes, Darius und Cyrus der Große in einer Person.
Wir sind vier Freunde. Wir sind vier Freunde. Rob schwindelte. Er dachte an die Gelegenheiten, bei denen es so leicht gewesen wäre, ihn zu töten. Er wandte sich ab, entfernte sich aus der Menge und ging mit leerem Blick, bis er zum Ufer des Zajandeh, des Flusses des Lebens, kam.
Er zog den massiven Goldring vom Finger, den ihm Alã für seine Verdienste in Indien geschenkt hatte, und warf ihn in das braune Wasser.
Während die Menge in der Ferne jubelte und schrie, ging er in den maristan zurück.
Qasim hatte eine große Dosis von dem Trunk erhalten, war aber offensichtlich sehr krank. Er zitterte, obwohl es ein warmer Tag war, und Rob zog eine Decke über ihn, die bald schweißdurchtränkt war. Als Rob Qasims Gesicht berührte, war es glühend heiß. Am späten Nachmittag wurden die Schmerzen so schlimm, daß der alte Mann aufschrie, als Rob seinen Unterleib berührte. Rob ging nicht nach Hause. Er blieb im maristan und kehrte oft an Qasims Lager zurück.
Am Abend trat mitten in Qasims Qualen plötzlich Erleichterung ein. Eine Zeitlang ging sein Atem ruhig und gleichmäßig; er schlief. Rob schöpfte schon Hoffnung, aber nach wenigen Stunden kam das Fieber wieder, sein Körper wurde immer heißer, sein Puls jagte und war zeitweise kaum überprüfbar. Rob ergriff seine Hände - und verlor den Mut. Er ließ sie nicht mehr los, denn nun konnte er Qasim nur noch seine Gegenwart und den geringen Trost einer menschlichen Berührung bieten. Qasims rasselnder Atem wurde immer langsamer und hörte dann ganz auf. Rob hielt noch immer die schwieligen Hände, als Qasim das Leben ausgehaucht hatte.
Er schob einen Arm unter die knotigen Knie und den anderen unter die nackten, knochigen Schultern und trug den Toten ins Leichenhaus. Dann betrat er die danebenliegende Kammer. Sie stank; er würde dafür sorgen müssen, daß sie gereinigt wurde. Er setzte sich
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