Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
verbundenen Augen zogen ihre Dolche. Das Schwein, das zwischen den beiden festgehalten worden war, wurde nun auf den Boden hinuntergelassen. Es versuchte sofort davonzulaufen, aber weil es angebunden war, konnte es nur im Kreis rennen.
    »Das Ferkel kommt, Dustin!« rief jemand. Der Engländer machte sich bereit und wartete, aber das Geräusch des laufenden Tieres wurde vom Schreien der Männer übertönt, und das Schwein war an ihm vorbei, bevor er es merkte. »Jetzt, Vitus!« schrien die Dänen.
    In seiner Angst rannte das Ferkel geradewegs in den dänischen Treiber hinein. Der Mann stach dreimal nach ihm, ohne es zu treffen, und es flüchtete laut quiekend dorthin zurück, wo es hergekommen war. Nun konnte sich Dustin nach dem Geräusch richten und stürzte aus seiner Richtung auf das Ferkel, während Vitus aus der anderen kam. Der Däne stach auf das Ferkel ein, und Dustin wimmerte, als die scharfe Klinge ihm den Arm aufschlitzte.
    »Du nordisches Arschloch.« Er schlug in einem wilden Bogen zu, kam aber weder in die Nähe des quiekenden Ferkels noch in die seines Gegners.
    Jetzt rannte das Schwein über Vitus' Füße. Der dänische Treiber packte das Seil des Tieres und konnte das Schwein in Reichweite seines Dolches ziehen. Sein erster Stich traf es am rechten Vorderhuf, und das Schwein schrie. »Jetzt hast du es, Vitus!« „Mach es fertig! Wir essen es morgen!«
    Pas schreiende Schwein war ein leicht auszumachendes Ziel, und Dustin stürzte sich auf das Geräusch. Doch seine Hand glitt an der glatten Flanke des Ferkels ab, und die Klinge bohrte sich bis zum Heft in Vitus' Bauch.
    Der Däne stöhnte nur leise, sprang aber zurück und riss sich damit den Bauch auf.
    Das einzige Geräusch in der Kneipe war nun das Quieken des Schweins.
    »Leg das Messer weg, Dustin, du hast ihn erledigt«, rief einer der Engländer. Sie umringten den Treiber; die Augenbinde wurde ihm heruntergerissen und seine Fußfessel durchschnitten. Wortlos führten die dänischen Treiber ihren Kameraden weg, ehe die Engländer sich rächen oder die Männer des Vogts geholt werden konnten.
    Der Bader seufzte. »Lass uns zu ihm durch, denn wir sind Bader-Chirurgen und können ihm vielleicht Beistand leisten.« Aber es war klar, dass sie kaum etwas für ihn tun konnten. Vitus lag wie zerbrochen auf dem Rücken, hatte die Augen aufgerissen, und sein Gesicht war grau. In der klaffenden Wunde seines geöffneten Bauches waren die Gedärme fast durchschnitten worden. Der Bader ergriff Robs Arm und zog ihn in die Hocke. »Sieh es dir an!« befahl er streng.
    Rob sah mehrere Schichten an der Oberfläche sonnengebräunte Haut, blasses Fleisch, eine schleimige, helle Schicht. Der Darm war rosa wie ein Osterei, das Blut tiefrot.
    »Es ist merkwürdig, dass ein aufgeschnittener Mensch viel ärger stinkt als ein aufgeschnittenes Tier«, stellte der Bader fest. Blut quoll aus der Bauchdecke, und der durchtrennte Darm entleerte in einem Schwall seinen Kot.
    Der Mann sprach leise auf Dänisch, vielleicht betete er.
    Rob würgte, aber der Bader hielt ihn bei dem niedergestochenen Mann fest, als würde er einem jungen Hund die Nase in seinen eigenen Kot reiben.
    Rob ergriff die Hand des Treibers. Der Mann war wie ein Sandsack mit einem Loch im Boden; Rob spürte, wie das Leben aus ihm rann. Er hockte neben dem Treiber und hielt seine Hand fest, bis kein Sand mehr in dem Sack war und Vitus' Seele mit einem trocken raschelnden Geräusch wie ein welkes Blatt einfach davonflog.

    Sie übten weiter mit den Waffen, aber jetzt war Rob vorsichtiger und etwas weniger hitzig.
    Er dachte öfter über seine Gabe nach, beobachtete den Bader, hörte ihm zu und eignete sich nach und nach sein gesamtes Wissen für spätere Tage an. Während er mit den Krankheiten und ihren Symptomen vertrauter wurde, begann er insgeheim ein Spiel, bei dem er versuchte, an den äußerlichen Anzeichen festzustellen, was jedem Kranken fehlte.
    In dem Dorf Richmond in Northumbria sahen sie in der Reihe der wartenden Kranken einen bleichen Mann mit Triefaugen und einem quälenden Husten.
    »Was fehlt diesem Mann?« fragte der Bader.
    »Höchstwahrscheinlich Schwindsucht, oder?«
    Der Bader lächelte zustimmend.
    Als der hustende Patient jedoch an die Reihe kam, ergriff Rob seine Hände, um ihn hinter den Wandschirm zu führen. Es war nicht der Griff eines Sterbenden: Robs Gefühl verriet ihm, dass dieser Mann zu kräftig war, um an Schwindsucht zu leiden. Er spürte, dass der Mann sich nur

Weitere Kostenlose Bücher