Medicus 01 - Der Medicus
wusste, dass die Frau sterben würde, wenn er nicht handelte.
Im Durcheinander der Instrumente des Baders fand er ein metallenes Spekulum, doch er verwendete es nicht zum Spiegeln. Als der Krampf abklang, spreizte er die Beine der Frau und erweiterte den Gebärmutterhals mit dem Instrument, wie es ihm der Bader erklärt hatte. Der Klumpen in ihr glitt leicht heraus, es war ein Stück verwesten Fleisches, kein Baby. Er merkte kaum, dass der Mann den Atem scharf einsog und wegging.
Robs Hände arbeiteten selbständig, ohne dass sein Kopf ihm Anweisungen gab. Er brachte die Nachgeburt heraus, säuberte die Frau und wusch sie. Als er aufblickte, sah er zu seiner Überraschung, dass der Medicus inzwischen angelangt war.
»Ihr werdet übernehmen wollen«, sagte er und war sehr erleichtert, denn die Blutung kam nicht zum Stillstand.
»Es hat keine Eile«, winkte der Medicus ab. Aber er horchte endlos lang die Atmung der Frau ab und untersuchte sie so langsam und gründlich, dass sein mangelndes Vertrauen in Robs Künste deutlich zu erkennen war.
Schließlich schien der Jude zufrieden zu sein. »Legt Eure Handfläche auf ihren Bauch und reibt kräftig, so.«
Rob massierte verwundert den leeren Bauch. Endlich spürte er durch die Bauchdecke, wie der große, gedehnte Uterus sich zu einer kleinen harten Kugel zusammenzog, und die Blutung hörte auf. »Ein Zauber, der eines Merlin würdig ist, und ein Kunstgriff, den ich mir merken werde«, sagte er.
»Es gibt keinen Zauber bei unserer Arbeit«, stellte der Medicus fest. »Ihr kennt meinen Namen?«
»Wir haben einander vor ein paar Jahren getroffen. In Leicester.« Benjamin Merlin betrachtete den bunten Wagen, dann lächelte er. »Ihr wart damals noch ein Junge, der Lehrling. Der Bader war ein dicker Mann, der farbige Bänder aus seinem Mund hervorzauberte.«
»Ja.«
Rob erzählte nicht, dass der Bader tot war, und Merlin fragte nicht nach ihm. Sie blickten einander abwägend an. Das scharf geschnittene Gesicht des Juden war noch immer von dichtem, weißem Haar und einem weißen Bart umrahmt, aber er war nicht mehr so mager wie früher.
»Der Schreiber, mit dem Ihr damals in Leicester gesprochen habt. Habt Ihr ihm den Star gestochen?«
»Schreiber?« Merlin schien verwundert, dann erinnerte er sich. »Ja! Es war Edgar Thorpe aus dem Dorf Lucteburne in Leicestershire. Ich habe ihn operiert und den grauen Star aus beiden Augen entfernt.«
»Und heute?
Ist er gesund?«
Merlin lächelte bedauernd. »Man kann Master Thorpe leider nicht als gesund bezeichnen, denn er wird alt und hat daher verschiedene Leiden und Beschwerden. Aber er sieht auf beiden Augen.« Rob hatte den verwesten Fötus in ein Tuch gewickelt. Merlin wickelte ihn aus und betrachtete ihn, dann besprengte er ihn mit Wasser aus einer Flasche. »Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, sagte der Jude rasch, dann schlug er den kleinen Körper wieder in das Tuch und trug ihn zu dem Kleinbauern. »Das Kind wurde getauft, wie es sich gehört«, erklärte er, »und sicher wird sich ihm das Tor zum himmlischen Königreich öffnen.
Ihr müßt es Vater Stigand oder dem anderen Priester in der Kirche melden.« Der Ehemann zog eine schmutzige Börse heraus, in den stummen Jammer auf seinem Gesicht mischte sich Besorgnis. »Was habe ich zu bezahlen, Master Medicus?«
»Was Ihr könnt«, antwortete Merlin, und der Mann entnahm seiner Börse einen Penny und reichte ihn ihm.
»War es ein Knabe?«
»Das weiß man nicht genau«, antwortete der Medicus freundlich. Er steckte die Münze in die große Tasche seines Kittels und suchte, bis er einen halben Penny fand, den er Rob gab. Sie mussten dem Kleinbauern helfen, die Frau heimzutragen, eine harte Arbeit für einen halben Penny.
Als sie endlich fertig waren, gingen sie zu einem nahen Bach, um sich das Blut abzuwaschen.
»Habt Ihr schon ähnliche Entbindungen durchgeführt?«
»Nein.«
»Wieso wußtet Ihr dann, wie Ihr vorzugehen habt?«
Rob zuckte die Schultern. »Man hat es mir beschrieben.«
»Angeblich werden manche Menschen als Heiler geboren. Die Auserwählten.« Der Jude lächelte ihn an. »Natürlich haben manche einfach Glück.«
Der prüfende Blick des Mannes beunruhigte Rob. »Wenn die Mutter tot und das Kind am Leben gewesen wäre...«, wagte er zu fragen.
»Kaiserschnitt.«
Rob starrte ihn an.
»Ihr wißt nicht, wovon ich spreche?«
»Nein.«
»Man muss den Bauch und die Gebärmutter aufschneiden und das Kind
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