Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
Ordway mit einem großen Glas Wasser. Der hatte sie kaum geschluckt, als er sich auch schon rötlich erbrach. »Soll ich einen Priester holen lassen?« fragte Rob J., während er ihm den Mund abwischte. Ordway antwortete nicht, er sah ihn nur an. »Vielleicht wollen Sie mir erzählen, was damals mit Makwa-ikwa in meinem Wald genau passiert ist? Oder etwas anderes? Irgend etwas?«
    »Gehen Sie... Hölle«, brachte der Todgeweihte mühsam hervor. Rob J. glaubte nicht, dass er je zur Hölle gehen würde. Er glaubte auch nicht, dass Ordway oder sonst jemand zur Hölle gehen würde, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für eine solche Diskussion. »Ich dachte, es würde Ihnen vielleicht helfen, jetzt darüber zu sprechen. Falls Sie sich etwas von der Seele reden wollen.« Ordway schloss die Augen, und Rob J. erkannte, dass es keinen Sinn hatte, noch weiter in ihn zu dringen.
    Es war stets schrecklich für ihn, jemanden an den Tod zu verlieren, aber es war besonders schrecklich für ihn, diesen Mann zu verlieren, der zwar bereit gewesen war, ihn umzubringen, in dessen Kopf aber das Wissen um etwas eingeschlossen war, das er all die Jahre hatte erfahren wollen, und wenn dieser Verstand erlosch, dann war dieses Wissen auf immer verloren.
    Und außerdem fühlte er sich trotz allem von diesem komplizierten jungen Mann irgendwie angesprochen. Wie hätte Ordway sich entwickelt, wenn er ohne Behinderung geboren worden wäre, eine Schulbildung genossen, Fürsorge anstatt Hunger erfahren und einen Vater gehabt hätte, der kein Trunkenbold war?
    Rob J. war sich der Müßigkeit solcher Überlegungen durchaus bewusst, und als sein Blick zu der reglosen Gestalt zurückkehrte, sah er, dass Ordway sich allen Spekulationen entzogen hatte. Er hielt die Äthermaske, während Gardner Coppersmith geschickt ein Minie-Geschoss aus der linken Hinterbacke eines Jungen entfernte, und kehrte dann zu Ordway zurück, band ihm das Kinn hoch und beschwerte seine Lider mit Münzen. Dann legten sie ihn neben die vier anderen Toten, die die B-Kompanie zurückgebracht hatte, auf den Boden.

Der Kreis schließt sich
    Am 12. Februar 1864 schrieb Rob J. in sein Tagebuch:
    Zwei Flüsse meiner Heimat, der große Mississippi und der bescheidene Rock River, haben mein Leben mitgeprägt, und jetzt habe ich in Virginia mit zwei ebenso ungleichen Flüssen intensive Bekanntschaft machen müssen, da ich an den Ufern des Rappahannock und des Rapidan Zeuge ständigen Mordens wurde. Die Potomac-Army und die Northern-Virginia-Army hetzten vom späten Winter bis zum Frühling Infanterie und Kavallerie gegeneinander über den Rapidan. So selbstverständlich, wie ich in früheren Zeiten den Rock River überquerte, um einen kranken Nachbarn zu besuchen oder einem Kind ans Licht der Welt zu helfen, begleite ich jetzt die Truppen an allen möglichen Stellen über den Rapidan: entweder auf dem Rücken von Pretty Boy oder zu Fuß durch eine seichte Furt oder mit dem Boot oder einem Floß über tiefes Wasser. In diesem Winter gab es keine Schlacht, in der Tausende umkamen, aber ich habe festgestellt, dass ich einen einzelnen Toten als viel tragischer empfinde als ein ganzes Schlachtfeld voller Leichen. Ich habe gelernt, nicht auf die Gesunden und die Gefallenen zu achten, sondern mich auf die Verwundeten zu konzentrieren und junge verdammte Narren zu bergen - meist unter Beschuss junger verdammter Narren aus den Reihen des Feindes...
    Die Soldaten auf beiden Seiten waren dazu übergegangen, Zettel an ihre Kleidung zu heften, auf denen ihr Name und ihre Adresse standen, weil sie hofften, dass ihre Angehörigen benachrichtigt würden, wenn sie im Krieg blieben. Doch weder Rob J. noch seine drei Bahrenträger machten sich diese Mühe: Sie rückten ohne Furcht ins Feld aus, denn Amasa Decker, Alan Johnson und Lucius Wagner waren inzwischen überzeugt davon, dass Makwa-ikwas Magie sie tatsächlich beschützte. Und Rob J. ließ sich von ihrer Überzeugung anstecken. Es war, als gehe von dem mee-shome der Indianerin wirklich eine Kraft aus, die alle Kugeln abhielt und den Trupp unverwundbar machte.
    Manchmal schien es, als sei schon immer Krieg gewesen, und als würde er ewig fortdauern. Doch dann las Rob J. eines Tages in einem zerfledderten Exemplar des »Baltimore American«, dass alle männlichen Südstaatler zwischen siebzehn und fünfzig zum Dienst in der Konföderiertenarmee eingezogen worden seien. Das bedeutete, dass es inzwischen keinen Ersatz mehr für die Gefallenen

Weitere Kostenlose Bücher