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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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gab und die gegnerische Armee zwangsläufig kleiner wurde. Rob J. sah auch, dass die Konföderierten, die gefangengenommen oder getötet wurden, allesamt zerfetzte Uniformen und ebensolches Schuhwerk trugen. Er fragte sich verzweifelt, ob Alex noch am Leben war, und wenn ja, ob er Essen, Kleidung und Schuhe hatte. Colonel Symonds kündigte an, dass das 119. Indiana in Kürze eine große Anzahl Sharps-Karabiner bekomme, die mit Schnellfeuermagazinen ausgerüstet seien. Auch das deutete daraufhin, in welche Richtung sich der Krieg entwickelte: Der Norden stellte die besseren Waffen, die bessere Munition und die besseren Schiffe her, und der Süden litt unter schwindenden Soldatenzahlen und einem entschiedenen Mangel an allem, was aus Fabriken kam.
    Doch die Konföderierten schienen nicht einsehen zu wollen, dass sie an einem extremen industriellen Rückstand litten, und sie kämpften mit einer Besessenheit, die ihr Schicksal bald besiegeln sollte.
    Eines Tages, gegen Ende Februar, wurden die vier Bahrenträger zu einem Captain namens Taney von der A-Kompanie der Ersten Brigade gerufen, der in aller Ruhe eine Zigarre paffte, obwohl ihm eine Kugel das Schienbein durchschlagen hatte. Rob J. sah, dass es keinen Sinn hatte, eine Schiene anzulegen, da das Geschoss mehrere Zentimeter des Knochens und des Wadenbeins weggerissen hatte und das Bein unterhalb des Knies amputiert werden musste. Als er eine Kompresse aus seinem mee-shome nehmen wollte, stellte er fest, dass der Medizinbeutel nicht da war.
    Sein Magen krampfte sich zusammen, als ihm einfiel, wo er ihn gelassen hatte: vor dem Sanitätszelt im Gras! Die anderen wussten das auch.
    Er nahm Alan Johnson seinen Gürtel ab und legte ihn als Aderpresse an, und dann hoben sie den Captain gemeinsam auf die Bahre und wankten mit ihm davon, als wären sie betrunken. »Gütiger Gott«, sagte Lucius Wagner. Das sagte er stets, wenn er Angst hatte, in vorwurfsvollem Ton. Diesmal flüsterte er es immer und immer wieder, bis er den anderen damit auf die Nerven ging, aber keiner beschwerte sich oder befahl ihm, den Mund zu halten, denn alle warteten furchtsam darauf, dass eine Kugel ihren Körper treffen könnte, der ohne den Schutz der Magie den Greueln des Krieges ausgeliefert war.
    Sie bewegten sich langsamer und unbeholfener als bei ihrem allerersten Einsatz. Immer wieder bellte Gewehrfeuer, doch die Bahrenträger blieben verschont. Endlich erreichten sie das Sanitätszelt, und nachdem sie den Patienten in Major Coppersmiths Obhut übergeben hatten, hob Amasa Decker das mee-shome vom Boden auf und drückte es Rob J. in die Hand. »Hängen Sie es um! Sofort!« Und Rob J. gehorchte. Die drei Träger berieten sich und kamen überein, gemeinsam darauf zu achten, dass der Doc jeden Morgen als erstes das mee-shome umhängte.
    Zwei Tage später war Rob J. sehr froh, das Medizinbündel dabeizuhaben: Das 119. Indiana kam eine halbe Meile vor der Stelle, an der der Rapidan in den größeren Fluss mündete, um eine Straßenbiegung und sah sich plötzlich einer Brigade in grauen Uniformen gegenüber. Beide Seiten eröffneten sofort das Feuer - die vordersten Männer aus nächster Nähe. Die Luft war erfüllt von Flüchen und Rufen, dem Knallen der Musketen und den Schreien der Getroffenen, und dann verhakten sich die beiden Frontlinien ineinander. Offiziere droschen mit ihren Degen auf den Gegner ein oder schossen kleine Handfeuerwaffen ab, Soldaten setzten ihre Gewehre als Keulen ein und ihre Fäuste, Fingernägel und Zähne, da keine Zeit zum Nachladen blieb. Rechts von der Straße befand sich ein Eichenwald, links ein gedüngtes Feld, gepflügt, geeggt und für die Saat bereit, so dass es aussah wie weicher Samt. Einige Männer beider Seiten nahmen Deckung hinter den Bäumen, doch der Großteil verteilte sich auf dem Feld und zerstörte die makellose Fläche. Zwei unregelmäßige, lückenhafte Schützenlinien feuerten aufeinander.
    Für gewöhnlich hielt sich Rob J. bei Gefechten im Hintergrund und wartete ab, bis er hinausbeordert wurde, doch in dem Durcheinander fand er sich auf dem Rücken seines völlig verängstigten Pferdes plötzlich mitten in dem Gemetzel. Der Hengst scheute, bäumte sich auf und brach dann unter ihm zusammen. Rob J. konnte gerade noch abspringen, bevor das Tier zu Boden krachte und hufeschlagend und sich windend dort liegenblieb. Das kleine, schwarze Loch in Pretty Boys lehmfarbenem Hals blutete nicht, doch aus den geblähten Nüstern des im Todeskampf zuckenden

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