Medicus 02 - Der Schamane
für meine Bahrenträger sorgen, oder? Gehen Sie lieber, und essen Sie ihn, bevor ihn ein anderer entdeckt. Ich vertrete Sie inzwischen gerne hier.«
So einfach ging es also. Decker war kaum hinausgeeilt, als Rob J. sich schon den Kasten mit der ausgehenden Post vornahm. Er brauchte nicht lange, um den Umschlag zu finden und in sein mee-shome zu stecken. Als er wieder allein in seinem eigenen Zelt war, nahm er das Kuvert heraus und öffnete es. Es war an Rev David Goodnow, Bridgeton Street 237, Chicago, Illinois adressiert.
Lieba Mr. Goodnow,
Lanning Ordway. Ich bin beim 119. Indiana, wenn Sie sich erinnan. Hier isn Mann, dern Haufn Fragn stellt. N Doktor. Heißt Robat Col. Will über Henry Bescheid wissn. Redet n Haufn komisches Zeug. Hab ihn beobachtet. Löchat mich wegn L.wood Padson. Sagt, wir hättn das Indjanermädel umgebracht damals in Illinois. Hab ne Menge Möglichkeitn, ihn auszuschaltn. Aba ich benutz mein Kopf und lass Sies wissn, damit Sie rausfinn könn, wie er was über uns rausgefunn hat. Ich bin Sgt. Wenn da Krieg aus is, werd ich wieda fürn Order arbeitn.
Lanning Ordway
Über den Rappahannock
Rob J. wurde sich quälend bewusst, dass es mitten im Krieg, wo es überall von Waffen wimmelte und selbst Massenmorden keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, für einen erfahrenen Killer wirklich viele Möglichkeiten und Gelegenheiten gab, ihn »auszuschalten«. Vier Tage lang bemühte er sich, darauf zu achten, was hinter seinem Rücken vorging, und fünf Nächte döste er entweder nur oder blieb gänzlich wach. Er lag da und überlegte, wie Ordway wohl vorgehen würde. Er an seiner Stelle hätte gewartet, bis sie beide inmitten eines heftigen Scharmützels gewesen wären, wo viel geschossen wurde. Allerdings hatte er keine Ahnung, ob Ordway nicht vielleicht ein Messerstecher war. Hätte man Rob J. nach einer langen, dunklen Nacht, in der jeder nervöse Posten jeden Schatten für einen aus den Reihen der Konföderierten hielt, erstochen oder mit durchschnittener Kehle aufgefunden, hätte das kaum Überraschung hervorgerufen und sicher zu keinen intensiven Nachforschungen über den Hergang der Tat geführt. Die Lage änderte sich am 19. Januar, als die B-Kompanie der Zweiten Brigade zu einem Spionagevorstoß über den Rappahannock losgeschickt wurde, den sie schnell hinter sich bringen sollte. Das Vorhaben klappte jedoch nicht. Die Infanteriekompanie stieß nämlich auf starke Konföderiertenstellungen, wo sie überhaupt keine Rebellen erwartet hatte, und wurde durch feindlichen Beschuss in offenem Gelände festgenagelt.
Es war eine Wiederholung der Situation, in der sich das gesamte Regiment einige Wochen zuvor befunden hatte, doch diesmal stürmten keine siebenhundert Mann mit aufgepflanzten Bajonetten durch den Fluss, um die Situation zu retten, diesmal kam keine Unterstützung durch die Potomac-Army. Die einhundertsieben Soldaten blieben, wo sie waren, und erwiderten den ganzen Tag so gut wie möglich das Feuer. Erst als die Dunkelheit hereinbrach, flohen sie über den Fluss zurück und brachten vier Gefallene und sieben Verwundete mit. Der erste Mann, den sie in das Sanitätszelt brachten, war Lanning Ordway.
Ordways Mannschaftskameraden berichteten, er sei unmittelbar vor Einbruch der Nacht getroffen worden. Er hatte gerade in die Tasche gegriffen, um den harten Zwieback und das Stück gebratenes Schweinefleisch herauszuholen, das er morgens in Papier eingewickelt und eingesteckt hatte, als ihn kurz hintereinander zwei Minie-Geschosse trafen. Eines davon hatte ein Loch in die Bauchdecke gerissen, und eine Schleife gräulicher Eingeweide hing heraus. Rob J. machte sich daran, sie hineinzudrücken, um die Wunde wieder schließen zu können, doch dann sah er, dass Ordway nicht mehr zu retten war. Der zweite Einschuss lag etwas höher und hatte zweifellos große Zerstörung angerichtet. Rob J. wusste, wenn er den Bauch öffnete, würde er in der Bauchhöhle eine Blutansammlung vorfinden. Ordways Gesicht war weiß wie Milch.
»Möchten Sie irgend etwas, Lanny?« fragte er sanft. Ordways Lippen bewegten sich. Sein Blick verfing sich in dem Robs, und die Gelassenheit, die aus ihm sprach und die Rob J. schon früher bei Sterbenden gesehen hatte, zeigte, dass der Sergeant Bescheid wusste. »Wasser.«
Das war das Schlimmste, was man einem Mann mit einem Bauchschuss geben konnte, doch Rob J. wusste, es spielte keine Rolle mehr. Er nahm zwei Morphiumtabletten aus seinem mee-shome und gab sie
Weitere Kostenlose Bücher