Medicus 02 - Der Schamane
irgendein Zivilist mittleren Alters war, stand er mehrmals für fünfzig Meilen oder mehr auf dem Gang eines schwankenden Waggons. In Canton, Ohio, wartete er einen halben Tag auf den Anschlusszug, und dann teilte er sich einen Doppelsitzplatz mit einem Vertreter namens Harrison, der für eine Handelsfirma arbeitete, die Tintenpulver an die Army verkaufte. Der Mann erzählte ihm, er sei mehrmals auf Hörweite am Kampfgeschehen gewesen, und steckte voller unwahrscheinlicher Geschichten, die mit den Namen wichtiger militärischer und politischer Persönlichkeiten gespickt waren, doch Rob J. störte dies nicht, denn die Erzählungen ließen die Zeit schneller vergehen. Schließlich gab es in den heißen, überbesetzten Wagen kein Wasser mehr. Wie die anderen trank auch Rob J. aus, was er dabeihatte, und wurde dann von Durst geplagt. Schließlich hielt der Zug an einem Kleinbahnhof in der Nähe eines Armeelagers am Rande von Marion, um Brennstoff aufzunehmen, und die durstigen Passagiere drängten aus den Waggons, um sich aus einem kleinen Fluss Wasser zu holen. Auch Rob J. war unter ihnen, doch als er sich hinkniete, um seine Feldflasche zu füllen, entdeckte er etwas, das ihm den Magen umdrehte: Irgend jemand hatte benutzte Kompressen, blutige Verbände und anderen Krankenhausabfall in den Wasserlauf geworfen. Als Rob J. nach ein paar Schritten weitere Müllplätze entdeckte, schraubte er seine Feldflasche wieder zu und riet den anderen Passagieren, das gleiche zu tun.
Der Schaffner sagte, ein Stückchen weiter, in Lima, gebe es sauberes Wasser, und Rob J. kehrte auf seinen Platz zurück. Nachdem der Zug seine Fahrt fortsetzte, schlief er, und auch das Rattern und Schaukeln des Waggons weckte ihn nicht.
Als er endlich aufwachte, erfuhr er, dass der Zug Lima gerade verlassen hatte. »Ich wollte mir doch Wasser holen«, sagte er verärgert. »Machen Sie sich deswegen keine Gedanken«, tröstete ihn Harrison. »Ich habe welches.« Und damit reichte er Rob J. seine Flasche, und der nahm dankbar einen großen Schluck. »Gab es in Lima genug Wasser für alle?« fragte er, während er die Flasche zurückgab.
»Oh, ich habe in Lima nichts gebraucht. Ich habe meinen Vorrat in Marion aufgefüllt, als wir Brennstoff einluden.« Der Mann wurde leichenblass, als Rob J. ihm erzählte, was er in dem Fluss gesehen hatte. »Dann werden wir jetzt krank?«
»Das kann man nicht so genau sagen.« Hinter Gettysburg hatte Rob J. eine ganze Kompanie vier Tage lang aus einer Quelle trinken sehen, in der, wie sich herausstellte, zwei tote Konföderierte lagen, und es hatte den Soldaten nichts geschadet. Er zuckte mit den Achseln. »Aber es würde mich nicht wundern, wenn wir beide in ein paar Tagen einen ordentlichen Durchfall bekämen.«
»Können wir nicht was dagegen tun?«
»Whiskey wäre nicht schlecht.«
»Überlassen Sie das mir!« Harrison machte sich auf die Suche nach dem Schaffner. Als er zurückkam, war wohl sein Geldbeutel leichter, dafür aber brachte er eine große Flasche mit, die noch zu zwei Dritteln voll war. Der Whiskey sei so stark, meinte Rob J., nachdem er ihn probiert hatte, dass er eigentlich wirken müsse. Als die beiden sich in South Bend trennten, war jeder überzeugt, dass der andere ein feiner Kerl sei, und sie schüttelten einander zum Abschied herzlich die Hände. Rob J. war schon in Gary, als ihm einfiel, dass er Harrisons Vornamen gar nicht kannte.
Er kam in der Kühle des frühen Morgens in Rock Island an. Ein frischer Wind wehte vom Fluss herauf. Rob J. verließ erleichtert den Zug und ging mit dem Koffer in der gesunden Hand durch die Stadt. Er wollte eigentlich Pferd und Wagen mieten, doch dann traf er auf der Straße George Cliburn, und der Futtermittelhändler begrüßte ihn freudig und bestand darauf, ihn mit seinem Fuhrwerk nach Holden’s Crossing zu bringen. Als Rob J. durch die Tür des Farmhauses trat, wollte Sarah sich gerade zu ihrem Frühstücksei und einem Brötchen vom Vortag an den Tisch setzen. Sie sah ihn an, ohne ein Wort zu sagen, und dann fing sie an zu weinen. Lange Zeit hielten sie einander umschlungen. »Bist du schwer verletzt?« fragte sie schließlich. Er versicherte ihr, dass es nicht schlimm sei.
»Du bist dünn geworden.« Sie wollte ihm ein Frühstück machen, doch er erklärte, er werde später etwas essen. Er begann sie zu küssen und wollte sie, ungeduldig wie ein Junge, gleich auf dem Tisch oder dem Fußboden haben, doch sie meinte, es sei an der Zeit, dass er
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