Medicus 03 - Die Erben des Medicus
anderem trösten, dachte sie sarkastisch, aber ohne Bedauern. Sie dankte ihm, daß er ihr wegen Elizabeth Bescheid gesagt hatte, und stürzte sich gleich wieder in die Arbeit. Später an diesem Nachmittag erhielt sie einen Anruf von einer der Frauen aus seinem Büro. »Dr. Cole? Hier spricht Cindy Wolper. Dr. Kendricks hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, daß er heute nacht nicht nach Hause kommen wird. Er hat einen Konsultationstermin in Worcester.«
»Danke für den Anruf«, sagte R.J.
Dafür lud Tom sie am folgenden Samstag vormittag zum Brunch am Harvard Square ein. Das überraschte sie. Seine gewohnte Samstagsroutine bestand aus der Morgenvisite im Middlesex Memorial Hospital, wo er Belegchirurg war, sowie Tennis mit anschließendem Lunch im Club.
Während er sehr sorgfaltig einen Pumpernickel butterte, verriet er ihr den Grund: »Im Middlesex hat man gegen mich Beschwerde wegen ärztlichem Fehlverhalten erhoben.«
»Wer?«
»Eine Schwester auf Betts' Station. Beverly Martin.«
»Ja. Ich erinnere mich an sie. Aber warum um alles in der Welt...«
»Sie hat angegeben, ich hätte Elizabeth eine unangemessen hohe Dosis Morphium verabreicht und damit ihren Tod verursacht.«
»Ach, Tom.«
Er nickte.
»Und was passiert jetzt?«
»Der Bericht wird bei einer Sitzung der internen Untersuchungskommission für ärztliches Fehlverhalten beraten.«
Die Kellnerin kam vorbei. Tom winkte ihr und bestellte frischen Kaffee.
»Keine große Sache, da bin ich mir ziemlich sicher. Ich wollte es dir nur selber sagen, bevor du es von jemand anderem erfährst«, sagte er.
Am Montag wurde Elizabeth Sullivan entsprechend der Ve rfügungen in ihrem Testament eingeäschert Tom, R.J. und Suzanne Lorentz gingen zu dem Bestattungsinstitut, wo Suzanne in ihrer Funktion als Nachlaßverwalterin eine rechteckige Schachtel aus grauem Karton mit Elizabeth' Asche ausgehändigt bekam.
Sie gingen zum Lunch ins Ritz , wo Suzanne ihnen, während sie Salat aßen, Teile aus Betts' Testament vorlas. Betts hatte ein beträchtliches Vermögen , wie Suzanne es nannte, für die Pflege ihrer Tante, Mrs. Sally Frances Bossard, zur Verfügung gestellt, die als Patientin in einem Heim lebte. Nach dem Tod von Mrs. Bossard sollte das verbliebene Geld an die American Cancer Society gehen. Ihrem geliebten Freund Dr. Thomas A Kendricks hatte Elizabeth schöne Erinnerungen, wie sie hoffte, und eine Kassette mit einer Aufnahme von Strawberry Fields , gesungen von Elizabeth Sullivan und Tom Kendricks, hinterlassen. Ihrer neuen und hochgeschätzten Freundin Dr. Roberta J. Cole hatte sie ein sechsteiliges silbemes Kaffeeservice anonymer französischer Herkunft aus dem achtzehnten Jahrhundert hinterlassen. Das Silberservice und die Kassette befanden sich in Verwahrung in Antwerpen, zusammen mit anderen Dingen, vorwiegend Möbeln und Kunstgegenständen, die verkauft werden sollten und deren Erlös den Sally Frances Bossard vermachten Geldern zugeschlagen werden sollte.
Von Dr. Cole erbat sich Elizabeth Sullivan noch einen letzten Dienst: Sie wollte, daß die Asche Dr. Cole ausgehändigt und von dieser »ohne Zeremonie oder Gottesdienst an einem schönen Ort ihrer Wahl der Erde übergeben werde«. R.J. war überwältigt, sowohl von dem Vermächtnis wie der unerwarteten Verantwortung. Toms Augen glitzerten feucht. Er bestellte eine Flasche Champagner, die sie nach einem Toast auf Betts tranken.
Auf dem Parkplatz holte Suzanne die kleine Pappschachtel aus ihrem Auto und gab sie R.J., die nicht wußte, was sie mit ihr anfangen sollte. Sie stellte sie auf den Beifahrersitz ihres BMW und fuhr zum Lemuel Grace zurück.
Am folgenden Mittwoch morgen wurde sie um fünf Uhr dreißig vom lauten und entsetzlich aufdringlichen Bimmeln der Hausglocke geweckt, was bedeutete, daß jemand an ihrer Tür stand.
Sie kämpfte sich aus dem Bett und warf ihren Bademantel über.
Da sie ihre Slipper nicht finden konnte, stapfte sie barfuß hinaus auf den kalten Gang.
»Tom?« Er war in seinem Bad, denn sie konnte die Dusche rauschen hören.
Sie ging nach unten und spähte durch die Glasverkleidung seitlich der Tür. Draußen war es noch dunkel, aber sie konnte zwei Gestalten erkennen.
»Was wollen Sie?« rief sie, denn sie hatte nicht die Absicht, die Tür zu öffnen.
»Staatspolizei.«
Als sie das Licht anknipste und noch einmal nach draußen sah, erkannte sie, daß das stimmte, und sie öffnete die Tür. Plötzlich beschlich sie eine schreckliche Angst.
»Ist meinem Vater
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