Medicus 03 - Die Erben des Medicus
daß es Zeit sei, Schluß zu machen. Sie bat ihn, einzusehen, daß es nie funktionieren würde. »Du hast mir gesagt, du wärst weggefahren, um für dein Buch zu recherchieren. Aber du bist nach New York gefahren, um den Grabstein deiner Tochter einzuweihen. Als ich mit dir dorthin fahren wollte, hast du dich geweigert.«
»Ich brauche Zeit, R.J.«
»Ich glaube nicht, daß die Zeit etwas ändern wird, David«, sagte sie sanft. »Sogar Leute, die schon lange verheiratet sind, lassen sich oft nach dem Tod eines Kindes scheiden. Ich wäre vielleicht in der Lage, mit deinem Alkoholismus und der Angst, daß du eines Tages wieder verschwindest, zu leben. Aber tief in deinem Herzen gibst du mir die Schuld an Sarahs Tod. Ich glaube, du wirst mich immer dafür verantwortlich machen, und damit kann ich nicht leben.«
Er war blaß geworden. Er stritt nichts ab. »Wir hatten es so schön miteinander. Wenn nur das nicht passiert wäre ...« Alles verschwamm vor ihren Augen. Er hatte recht. In vieler Hinsicht hatten sie so gut zusammengepaßt »Aber es ist passiert« Er akzeptierte, daß es stimmte, was sie sagte, aber er brauchte länger, um auch die unvermeidlichen Konsequenzen zu akzeptieren. »Ich habe gedacht, du liebst mich.«
»Ich habe dich geliebt, ich liebe dich noch, ich werde dich immer lieben, und ich wünsche dir Glück.« Aber sie hatte eine Entdeckung gemacht: Sie liebte auch sich.
An diesem Abend blieb sie lange in der Praxis, und als sie nach Hause kam, eröffnete er ihr, daß er beschlossen habe, nach Colorado zu gehen und sich Joe Fallons Leuten anzuschließen.
»Ich werde die Honigschleuder und ein paar der besten Bienenvölker mitnehmen und in Colorado eine neue Zucht aufbauen. Ich habe mir gedacht, ich könnte die anderen Stöcke ausleeren und sie in deiner Scheune abstellen.«
»Nein. Es wäre besser, wenn du sie verkaufst«
Er begriff, was sie meinte, die Endgültigkeit dieses Schritts. Sie sahen einander an, und er nickte.
»Ich werde erst in ungefahr zehn Tagen abreisen können. Ich will zuerst mein Manuskript abschließen und es meinem Verleger schicken.«
»Das ist nur vernünftig.«
Agunah kam in die Küche und starrte R.J. aus kalten Augen an.
»David, tust du mir einen Gefallen?«
»Und was für einen?«
»Wenn du diesmal gehst, nimm die Katze mit!«
Die Stunden vergingen jetzt sehr langsam, und sie bemühten sich, einander aus dem Weg zu gehen. Erst zwei Tage waren vergangen, da erhielt sie einen Anruf von ihrem Vater, aber ihr war es viel länger vorgekommen.
Als ihr Vater nach David fragte, fand sie die Kraft, ihm zu sagen, daß sie und David sich trennten.
»Oh. Alles in Ordnung mit dir, R.J.?«
»Ja, alles in Ordnung«, sagte sie und kämpfte mit den Tränen.
»Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.«
»Aber warum ich anrufe: Wie wär's, wenn du zu Thanksgiving zu mir kommst?«
Plötzlich wollte sie ihn sehen, mit ihm reden, sich von ihm trösten lassen. »Könnte ich vielleicht schon früher kommen? Jetzt gleich zum Beispiel?«
»Kannst du es denn einrichten?«
»Ich weiß noch nicht. Ich werd's mal versuchen.«
Peter Gerome wunderte sich zwar, als sie ihn fragte, ob er sie noch einmal für zwei Wochen vertreten könne, aber er war gern dazu bereit. »Mir macht die Arbeit bei Ihnen wirklich Spaß«, sagte er. Daraufhin buchte sie einen Flug und rief dann ihren Vater an, um ihm zu sagen, daß sie am nächsten Tag nach Florida komme.
Sonne und Schatten
Das Herz wurde ihr leicht, als sie ihren Vater sah, aber sein Aussehen machte ihr Kummer. Er schien irgendwie in sich zusammengeschrumpft zu sein, und ihr wurde bewußt, daß er seit ihrer letzten Begegnung alt geworden war. Doch er war guten Mutes und offensichtlich ganz aus dem Häuschen vor Freude, sie wiederzusehen. Sie begannen fast sofort zu streiten, doch ohne Heftigkeit; sie wollte einen Träger für ihre zwei Gepäckstücke, weil sie wußte, daß er ihr eins würde abnehmen wollen.
»Aber R.J., das ist doch dumm! Ich trage den Koffer, und du kannst den Kleidersack nehmen.«
Mit einem resignierten Auflachen ließ sie ihm seinen Willen. In dem Augenblick, da sie das Flughafengebäude verließen, blinzelte sie in das grelle Sonnenlicht und sackte unter dem feuchten Ansturm tropisch heißer Luft förmlich zusammen. »Wieviel Grad hat es, Dad?«
»Über dreißig«, sagte er stolz, als wäre die Hitze ein persönliches Verdienst seinerseits. Er fuhr vom Flughafengelände in die Stadt, als sei das sein täglicher
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