Medicus 03 - Die Erben des Medicus
Weg. Er war immer ein selbstsicherer Fahrer gewesen. Auf dem blauen, spiegelglatten Meer sah sie Segelboote aufblitzen, und sie vermißte die kühle Brise ihrer Wälder.
Ihr Vater lebte in einem weißen Hochhaus, das der Universität gehörte, in einer unpersönlichen Wohnung mit zwei Schlafzimmern. Man spürte, daß er kaum versucht hatte, ihr eine persönliche Note zu geben. Zwei Ölgemälde mit Ansichten von Boston hingen im Wohnzimmer. Das eine zeigte den Harvard Square im Winter. Auf dem zweiten war eine Szene bei der Ruderregatta auf dem Charles River dargestellt, grimassierende Ruderer der Boston University erstarrt in kraftvoller Bewegung, als wollten sie ihr Boot aus der Leinwand heraustreiben, und im Hintergrund die verschwommenen Umrisse des M. I. T. am anderen Ufer. Abgesehen von den Bildern und einigen Büchern war die Wohnung militärisch ordentlich, aber ungemütlich wie die vergrößerte Zelle eines modernen Gelehrtenmönchs. Auf dem Schreibtisch im Gästezimmer, das er zu seinem Büro hatte, stand das Eichenkästchen mit Rob J.s Skalpell.
In seinem Schlafzimmer sah R.J. ein Foto von sich, daneben ein sepiabraunes Bild ihrer Mutter als lächelnde junge Frau in einem altmodischen einteiligen Badeanzug, die an einem Strand in Cape Cod in die Sonne blinzelte. Auf der zweiten Kommode stand das gerahmte Foto einer Frau, die R.J. nicht kannte.
»Wer ist das, Dad?«
»Eine Freundin. Ich habe sie eingeladen, mit uns zum Abendessen zu gehen, wenn du nichts dagegen hast.«
»Natürlich nicht. Aber zuerst muß ich einmal ausführlich duschen.«
»Ich glaube, du wirst sie mögen«, sagte er. Offensichtüch war ihr Vater doch kein Mönch.
Er hatte einen Tisch in einem Fischrestaurant bestellt, wo sie beim Essen den Schiffsverkehr auf dem Kanal beobachten konnten. Das Gesicht auf dem Foto gehörte einer gutgekleideten Frau namens Susan Dolby. Sie war etwas stämmig, aber nicht übergewichtig, und machte einen sportlichen Eindruck. Die grauen Haare waren kurzgeschnitten und lagen dicht am Kopf an, die Fingernägel waren kurz und glänzten unter farblosem Lack. Ihr Gesicht war gebräunt und hatte Lachfältchen neben beinahe mandelförmigen Augen. Waren sie grün? Braun? R.J. hätte wetten mögen, daß sie Golf oder Tennis spielte. Susan Dolby war ebenfalls Ärztin, eine Internistin mit einer Privatpraxis in Fort Lauderdale.
Die drei saßen am Tisch und unterhielten sich über Gesundheitspolitik. Während ein Weihnachtslied aus den Lautsprechern des Restaurants drang - zu früh im Jahr, wie sie übereinstimmend meinten -, funkelte draußen auf dem Wasser die gleißende Sonne, und Segelboote zogen vorbei wie kostbare Schwäne.
»Erzählen Sie mir von Ihrer Praxis!« sagte Susan.
R.J. erzählte ihnen vom Ort und von den Leuten. Sie unterhielten sich über Grippe in Massachusetts und in Florida und verglichen ihre Problemfälle - ärztliche Fachsimpelei. Susan sagte, sie sei schon seit Abschluß ihrer Chicagoer Assistenzzeit in Lauderdale. Sie hatte die Medical School der University of Michigan besucht R.J. fand ihre offene Art und ihre unbeschwerte Freundlichkeit sehr sympathisch.
Als gerade das Hauptgericht serviert wurde - Shrimps -, meldete sich Susans Piepser. »Oh-oh«, sagte sie, entschuldigte sich und suchte ein Telefon.
»Was sagst du?« fragte R.J.s Vater Augenblicke später, und sie merkte, daß diese Frau ihm wichtig war.
»Du hattest recht. Ich mag sie wirklich.«
»Das freut mich.«
Er kenne Susan seit drei Jahren, sagte er. Bekanntschaft geschlossen hätten sie bereits in Boston, bei einer Konferenz an der Medical School.
»Danach haben wir uns gelegentlich gesehen, manchmal in Miami, manchmal in Boston. Aber wir konnten uns nicht oft treffen, weil wir beide zu viele Verpflichtungen hatten. Also habe ich mich kurz vor meiner Pensionierung in Boston mit Kollegen hier an der Universität in Verbindung gesetzt und war sehr froh, als ich dieses Angebot bekam.«
»Dann ist das eine ernsthafte Beziehung.«
Er lächelte sie an. »Ja, allmählich wird's ernst«
»Dad, ich freue mich ja so für dich!« sagte R.J. und nahm seine Hände in die ihren.
Im ersten Augenblick fiel ihr nur auf, daß seine Finger noch arthritischer geworden waren. Doch als sie sich zu ihm beugte und ihn anlächelte, spürte sie eine Art Verströmen, einen allmählichen Energieverlust. Susan kehrte zum Tisch zurück. »Ich habe es telefonisch erledigen können«, sagte sie.
»Dad, fühlst du dich wohl?«
Dir Vater war
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