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Medicus 03 - Die Erben des Medicus

Titel: Medicus 03 - Die Erben des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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sich wie ein gigantisches Infusionsnetzwerk von den Stämmen zu großen Sammeltanks schlängelten. Der frühe März brachte dann das beste Wetter für die Zuckerbildung: frostige Nächte, wärmere Tage. Die ungeteerten Straßen tauten jeden Morgen auf und verwandelten sich in Schlammkanäle. Kaum daß sie auf die Zufahrtsstraße der Roches eingebogen war, bekam R.J. Schwierigkeiten, und bald darauf hatte sich der Explorer bis zu den Radkappen in den Morast gegraben.
    Beim Aussteigen versanken ihre Stiefel, als würden sie nach unten gezogen. R.J. zerrte das Drahtseil von der Winde unter dem Kühler ihres Explorer und trottete damit die Straße entlang, bis über dreißig Meter Kabel hinter ihr im Schlamm lagen. Sie wählte eine riesige Eiche, die aussah, als sei sie für alle Ewigkeit in der Erde verankert, legte das Seil um den Stamm und hakte den Karabiner ein.
    Die Winde hatte eine Fernbedienung. Sie stellte sich ein wenig abseits, drückte den Startknopf und sah fasziniert und erfreut zu, wie das Seil langsam, aber unausweichlich auf die Windentrommel gewickelt wurde und sich straffte. Ein lautes Schmatzen war zu hören, als die vier Reifen sich aus dem zähen Schlamm lösten und das Auto sich Handbreit um Handbreit vorwärts bewegte. Nach etwa zwanzig Metern stoppte sie die Winde, stieg ins Auto und ließ den Motor an. Mit zugeschaltetem Vierradantrieb griffen die Räder, und wenige Minuten später hatte sie das Drahtseil wieder auf die Trommel gerollt und fuhr auf das Farmhaus der Roches zu.
    Bonnie, nun ohne Blinddarm, war allein zu Hause. Sie durfte noch nicht schwer arbeiten, deshalb kam Sam Roche, Pauls fünfzehnjähriger Bruder, jeden Morgen vor der Schule und jeden Abend nach dem Essen vorbei, um die Kühe zu melken. Paul hatte einen Job in der Versandabteilung einer Messerfabrik in Oakland angenommen, um das Geld für die Rechnungen zusammenzubekommen. Er kam jeden Tag gegen fünfzehn Uhr nach Hause und nutzte den Rest des Tageslichts, um Ahornsaft zu sammeln, den er dann bis in die frühen Morgenstunden in der Zuckersiederei zu Sirup verkochte. Das war Schwerstarbeit, denn er mußte vierzig Liter Saft abzapfen, um einen Liter Sirup zu erhalten, aber die Leute zahlten gut für Ahornsirup, und die Roches brauchten jeden Dollar.
    »Ich habe Angst, Dr. Cole«, sagte Bonnie zu R.J. »Ich fürchte, er hält diese Belastung nicht durch, ich fürchte, einer von uns wird wieder krank. Und wenn das passiert, dann: ade Farm!«
    R.J. fürchtete dasselbe, aber sie schüttelte den Kopf. »Das werden wir einfach nicht zulassen«, sagte sie. Gewisse Augenblicke würde sie nie vergessen.
    22. November 1963: Sie war an der High-School und gerade unterwegs zu ihrer Lateinstunde, als sie zwei Lehrer sich darüber unterhalten hörte, daß John F. Kennedy in Texas erschossen worden war.
    4. April 1968: Sie wollte Bücher in die Bostoner Leihbibliothek zurückbringen, als sie die Bibliothekarin weinen sah und erfuhr, daß die Kugel eines Mörders Martin Luther King getroffen hatte.
    5. Juni im selben Jahr: Sie hatte mit ihrem Freund im Wagen vor der Wohnung, in der sie mit ihrem Vater lebte, geschmust; sie wußte nur noch, daß es ein pausbäckiger Junge war, der Jazzklarinette spielte, an seinen Namen konnte sie sich nicht mehr erinnera. Er hatte eben seine Hand auf den aus einem dicken Pullover und einem BH bestehenden Stoffpanzer über ihrem Busen gelegt, und sie überlegte noch, wie sie reagieren sollte, als aus dem Radio des Autos ihres Vaters die Nachricht kam, Robert Kennedy sei angeschossen worden und liege im Sterben.
    Immer in Erinnerung bleiben würden ihr auch die Augenblicke, als sie erfuhr, daß auf John Lennon ein Mordanschlag verübt worden und daß der Raumtransporter Challenger explodiert war.
    Und jetzt, an einem regnerischen Vormittag Mitte März 1994 in Barbara Kingsmith' Haus, erlebte sie einen weiteren dieser schrecklichen Augenblicke.
    Mrs. Kingsmith hatte eine schwere Niereninfektion; doch das Fieber hatte ihr nichts von ihrer Redseligkeit genommen, und sie beklagte sich gerade über die Farben, die bei der Innenrenovierung des Rathauses verwendet wurden, als R.J. ein paar Worte von den Fernsehnachrichten hörte, die Mrs. Kingsmith' Tochter im Wohnzimmer angeschaltet hatte.
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie zu Mrs. Kingsmith und ging ins Wohnzimmer. Das Fernsehen brachte die Meldung, daß in Florida ein Aktivist der Recht-auf-Leben-Bewegung mit dem Namen Michael F. Griffin einen Dr. David Gunn, der

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