Medicus 03 - Die Erben des Medicus
als Arzt in einer Abtreibungsklinik arbeitete, erschossen hatte.
Weiter hieß es, daß Abtreibungsgegner Geld sammelten, um für Griffin die bestmöglichen Anwälte zu engagieren.
R.J. bekam weiche Knie vor Angst. Nach dem Besuch bei den Kingsmith fuhr sie direkt zu David und fand ihn in der Küche.
Er nahm sie in die Arme, tröstete sie, und er hörte aufmerksam zu, als sie von den verzerrten Gesichtern erzählte, an denen sie an so vielen Donnerstagen in Jamaica Plain hatte vorbeigehen müssen. Sie erzählte von den haßerfüllten Blicken und gestand ihm, daß sie jetzt wisse, was sie an diesen Donnerstagen immer befürchtet hatte: eine auf sie gerichtete Waffe, einen Finger am Abzug.
Eva Goodhue erhielt öfter von R.J. Besuch, als es vom ärztlichen Standpunkt aus nötig war. Evas Wohnung lag nur wenige Schritte von R.J.s Praxis entfernt, und die alte Frau imponierte ihr und war außerdem für sie eine unerschöpfliche Informationsquelle zur Geschichte des Ortes.
Meistens brachte R.J. Eiskrem mit, und dann saßen sie beisammen, aßen das Eis und unterhielten sich. Eva erzählte von den samstäglichen Tanzabenden, die in dem Saal im ersten Stock des Rathauses abgehalten wurden und die jeder am Ort samt Kindern besuchte. Und sie berichtete von Tagen, als es am Big Pond noch ein Eishaus gab und hundert Männer auf der Eisfläche des Teichs ausschwärmten, um große Blöcke herauszuschneiden. Und sie schilderte den Frühlingsmorgen, als ein vierspänniger Wagen auf dem Eis einbrach und in dem schwarzen Wasser versank, wobei alle Pferde und ein Mann namens Chink Roth ertranken.
Eva wurde ganz aufgeregt, als sie erfuhr, wo R.J. wohnte. »Mein Gott, nur eine gute Meile von Ihrem Haus entfernt habe ich mein ganzes Leben verbracht. Das Anwesen dort an der oberen Straße, das war unsere Farm.«
»Wo Freda und Hank Krantz jetzt wohnen?«
»Ja. Die haben uns die Farm abgekauft.« Damals gehörte R.J.s Grund einem Mann namens Harry Crawford, berichtete Eva. »Er hatte eine Frau namens Rosalie. Er hat Ihr Land von uns gekauft und darauf das Haus gebaut, in dem Sie wohnen. Er betrieb eine kleine Sägemühle am Ufer des Catamount, mit einem Mühlrad als Antrieb. Er holte sich die Stämme aus unserem Wald und verkaufte alle möglichen Sachen aus Holz: Eimer, Buttermodel, Paddel und Ruder, Joche, Serviettenringe, manchmal auch Möbel. Die Mühle ist schon vor Jahren abgebrannt, aber wenn Sie genau hinschauen, müßten Sie die Fundamente eigentlich noch am Flußufer sehen können.«
Eva Goodhue erwärmte sich für das Thema. »Ich weiß noch, ich war... ach, vielleicht sieben oder acht Jahre alt, und ich bin immer hingegangen und hab zugesehen, wie sie sägten und hämmerten, als sie Ihr Haus bauten. Harry Crawford und noch zwei andere Männer. An die Namen der beiden erinnere ich mich nicht mehr, aber ich weiß noch, wie Mr. Crawford mir aus einem Zwei-Penny-Nagel einen kleinen Ring gemacht hat.«
Sie nahm R.J.s Hände und schaute ihr freundlich in die Augen. »Wissen Sie, es kommt mir fast vor, als wären wir zwei Nachbarn.«
R.J. fragte sie eingehend nach den Crawfords aus, weil sie hoffte, daß deren Geschichte vielleicht das Geheimnis der kleinen Knochen enthüllen könnte, die man beim Aushub ihres Teichs gefunden hatte. Aber sie erfuhr nichts, was ihr weiterhalf.
Ein paar Tage später ging sie in das alte Holzhaus an der Main Street, in dem sich das Historische Museum Woodfields befand, um dort im Archiv zu stöbern. In einem vergilbten, moderigen Familienregister las sie, daß die Crawfords vier Kinder gehabt hatten: Ein Sohn und eine Tochter, Tyrone Joseph und Linda Rae, waren jung gestorben und lagen auf dem Friedhof von Woodfield. Eine zweite Tochter, Barbara, war im Erwachsenenalter in Ithaka, New York, gestorben; ihr Ehemann hatte Sewall geheißen. Der andere Sohn, Harry Hamilton Crawford junior, war vor vielen Jahren nach Kalifomien gezogen, aber über seinen Verbleib war nichts bekannt.
Harry und Rosalie Crawford waren Mitglieder der First Congregational Church in Woodfield gewesen. Sie hatten zwei ihrer Kinder auf dem hiesigen Friedhof begraben war da anzunehmen, fragte R.J. sich, daß sie ein weiteres Kleinkind in morastiger, ungeweihter Erde vergraben würden, noch dazu ohne Grabstein?
Nein, es sei denn, es gab etwas im Zusammenhang mit dieser Geburt, dessen die Crawfords sich außerordentlich schämten.
Die Sache blieb ein Rätsel.
Zwischen R.J. und Toby hatte sich mehr entwickelt als nur ein gutes
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