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Medicus 03 - Die Erben des Medicus

Titel: Medicus 03 - Die Erben des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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wagte sich mit Langlaufskiern auf ihren Pfad. Der winterliche Wald war still wie eine leere Kirche, aber es gab genug Hinweise auf seine Bewohner. Sie sah die frischen Pfotenabdrücke einer Wildkatze, Spuren von Rotwild verschiedener Größe und eine blutige Stelle voller Fellfetzen im aufgewühlten Schnee. Jetzt brauchte sie David nicht mehr, um zu wissen, daß hier ein Raubtier einen Hasen geschlagen hatte; es waren Kojoten gewesen, ihre Hundespuren waren überall im Umkreis zu sehen.
    Die Biberteiche waren zugefroren und schneebedeckt, und der winterliche Fluß rauschte und gurgelte unter, über oder durch eine Sphäre aus Eis. R.J. wäre gerne am Flußufer entlang Ski gelaufen, aber dort endete der Pfad, und sie mußte umkehren und den Weg zurückfahren, den sie gekommen war. Der Winter war schön in den Wäldern und auf den Feldern, aber schöner wäre es gewesen, in dieser Jahreszeit Gesellschaft zu haben. Sie sehnte sich nach David.
    Eigenartigerweise war sie versucht, Tom Kendricks anzurufen und mit ihm über ihre Nöte zu sprechen, aber sie wußte, daß sie auf Tom nicht mehr zählen konnte. Sie fühlte sich einsam, und sie hatte Angst vor der Zukunft. Wenn sie auf ihren Skiern so durch das eisstarrende Weiß lief, kam sie sich wie ein verlorenes Würmchen in dieser weiten Frostlandschaft vor. Zweimal hängte sie in einem Zwiebelnetz Rindertalg für die Vögel auf, und jedesmal wurde ervon einem Rotfuchs gestohlen.
    Sie sah seine Spuren und gelegentlich sogar ihn selbst zwischen den Bäumen lauern, ein vorsichtiger Dieb. Schließlich schleppte sie eine Leiter zu einer jungen Esche am Waldrand und hängte, nachdem sie auf dem schwankenden Ding in die Höhe geklettert war, ein drittes Talgnetz so hoch, daß der Fuchs es nicht mehr erreichen konnte. Ihre Futterhäuschen füllte sie zweimal täglich mit frischen Körnern, und aus der Geborgenheit ihres Hauses heraus konnte sie die unterschiedlichsten Vögel beim Fressen beobachten:
    Chickadee-Meisen, Haubenmeisen, verschiedene Kleiber und Finken, einen riesigen, struppigen Specht und ein Pärchen Kardinale. Über das Kardinalmännchen ärgerte sie sich: Es schickte immer zuerst sein Weibchen zum Futterhäuschen, für den Fall, daß dort Gefahr drohte, und das Weibchen gehorchte, ein beständig sich wiederholender potentieller Opfergang. Werden wir Frauen es je lernen? fragte sich R.J.
    Als Kenneth Dettinger anrief, war sie überrascht. Er verbrachte das Wochenende in den Hügeln und fragte sie, ob sie Lust habe, mit ihm zum Essen zu gehen.
    Sie öffnete schon die Lippen, um die Einladung abzulehnen, doch dann regte sich in ihr Widerspruch. Du solltest annehmen, sagte sie sich, während der Augenblick sich dehnte und Dettinger auf eine Antwort wartete, bis die Pause peinlich wurde. »Sehr gerne«, sagte sie dann.
    Sie nahm sich Zeit für ihre Toilette und zog ein Kleid an, das sie schon lange nicht mehr getragen hatte. Als er sie abholte, trug er ein Tweedsakko, eine Wollhose, leichte schwarze Wanderschuhe und einen dicken Daunenparka - die Ausgehkluft der Hügelbewohner. Sie fuhren zu einem Restaurant am Mohawk Trail und wählten sorgfältig den Wein aus, bevor sie bestellten. R.J. war nicht mehr an Alkohol gewöhnt, der Wein lockerte sie, und sie entdeckte, daß Kenneth ein interessanter Mann war, ein guter Gesprächspartner. Über einen längeren Zeitraum hinweg hatte er jährlich drei Wochen in Guatemala verbracht und dort Kinder behandelt, die nach der Ermordung eines oder beider Elternteile an einem Trauma litten. Seine Fragen nach ihrer Arbeit in den Hügeln waren kenntnisreich.
    Ihr gefiehl das Essen, das Gespräch über Medizin und Bücher und Filme, und sie amüsierte sich so, daß es ihr, als er sie nach Hause brachte, ganz natürlich vorkam, ihn noch zum Kaffee einzuladen. Sie bat ihn, im Kamin Feuer zu machen, während sie den Kaffee aufsetzte.
    Als er sie küßte, kam ihr auch das natürlich vor, und sie genoß es. Er küßte gut, und sie erwiderte den Kuß.
    Aber dann wurden ihre Lippen wie Holz, und sie löste sich von ihm.
    »Tut mir leid, Ken. Ich fürchte, es ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt.« Wenn sie sein Ego verletzt hatte, so ließ er es sich nicht anmerken. »Darf ich ein anderes Mal darauf zurückkommen?«
    Sie zögerte zu lange mit der Antwort, und er lächelte. »Ich werde in Zukunft häufig hier am Ort sein.« Er hob seine Kaffeetasse.
    »Auf einen besseren Zeitpunkt! Falls du irgendwann Lust bekommst, mich zu sehen, sag mir

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