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Medicus 03 - Die Erben des Medicus

Titel: Medicus 03 - Die Erben des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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geben konnten, ohne die lange Fahrt auf der eisglatten Straße nach Greenfield unternehmen zu müssen. Es gab Nächte, in denen R.J. trotzdem ins Krankenhaus mußte, aber sie kaufte sich das Gerät und war dankbar, nun doch wieder einen Teil jener Technologie, die sie in Boston zurückgelassen hatte, zur Verfügung zu haben. Die großen Feuer, die sie jeden Abend im Kamin entzündete, hielten sie trotz des Windes, der an dem Haus an der Grenze rüttelte, warm. Sie saß vor dem Feuer und las eine Fachzeitschrift nach der anderen, was ihre Weiterbildungslücken zwar nicht ganz schloß, aber doch deutlich verringerte. Eines Abends ging sie zum Kleiderschrank und holte Davids Manuskript heraus. Sie setzte sich vor den Kamin und begann zu lesen. Stunden später wurde ihr plötzlich bewußt, daß es kalt geworden war im Zimmer, und sie stand auf, um Holz nachzulegen, auf die Toilette zu gehen und frischen Kaffee zu kochen. Dann setzte sie sich wieder und las weiter. Manchmal kicherte sie, doch öfter weinte sie.
    Der Himmel war bereits hell, als sie mit der Lektüre fertig war. Aber sie wollte das Ende der Geschichte erfahren. Der Roman handelte von Farmern, die ihr Leben ändern mußten, weil die Welt sich verändert hatte, die aber nicht wußten, wie sie es tun sollten. Die Zeichnung der Figuren war lebendig, aber das Manuskript unvollendet R.J. fühlte sich tief berührt, und gleichzeitig hätte sie am liebsten geschrien. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß David ein solches Projekt aufgab, solange er sich in der Lage fühlte, es zu vollenden, und sie wußte, daß er entweder schwer krank oder tot war.

Verborgene Bedeutungen
    2O. Januar R.J. saß zu Hause und wärmte die Luft mit Musik. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, daß dieser Abend ein besonderer war. Ein Geburtstag? Irgendein Jubiläum? Und dann fiel es ihr ein, eine Strophe von Keats, die sie im Literaturkurs am College hatte auswendig lernen müssen.
    Sankt-Agnes-Abend - bittrer Frost war das!
    Die Eule blieb trotz aller aller Federn kalt, Der Hase hinkte durchs gefrorne Gras, Und lautlos war die Herde heimgewallt.
    R.J. hatte keine Ahnung, wie es den Herden ging, aber sie wußte, daß alle Tiere, die keinen Stall hatten, erbärmlich litten. Schon einige Male hatte sie morgens zwei große wilde Truthennen langsam über die schneebedeckten Felder watscheln sehen. Nach jedem frischen Schneefall hatte sich an der Oberfläche eine eisige Kruste gebildet, so daß der Boden jetzt mit vielen undurchdringlichen Schichten bedeckt war. Die Truthähne und das Rotwild kamen deshalb nicht mehr an das Gras und die Pflanzen, die sie zum Überleben brauchten. Die beiden Truthennen bewegten sich über die Schneefläche wie arthritische Matronen.
    R.J. fragte sich, ob die Gabe auch bei Tieren funktionierte. Aber sie brauchte die Truthennen nicht zu berühren, um zu wissen, daß sie dem Tod nahe waren. Im Obstgarten nahmen sie ihre letzte Kraft zusammen und versuchten, schwach und ohne Erfolg, hochzuflattern, um an gefrorene Knospen zu kommen.
    Sie hielt es nun nicht mehr aus. In der Futtermittelabteilung in Amherst kaufte sie einen großen Sack gestoßenen Mais und streute ihn mit vollen Händen an den Stellen aus, wo sie die Truthennen gesehen hatte.
    Jan Smith war erbost. »Jahrtausendelang hat die Natur es ohne Menschen geschafft. Solange der Mensch die Tiere nicht tötet, kommen sie ganz gut ohne seine Hilfe zurecht. Die Stärksten werden überleben«, sagte er. Er ärgerte sich sogar über die Futterhäuschen. »Die sind doch nur dazu da, daß die Leute ihre singenden Lieblinge aus der Nähe betrachten können. Ohne diese Häuschen müßten die Vögel ihren Arsch in Bewegung setzen, um zu überleben, und ein bißchen mehr Anstrengung würde ihnen nicht schaden.«
    R.J. war es gleichgültig. Befriedigt sah sie zu, wie die Truthennen und andere Vögel ihre großzügigen Gaben annahmen. Tauben und Fasane kamen, Krähen und Eichelhäher und kleinere Vögel, die sie aus der Entfernung nicht identifizieren konnte. Wenn aller Mais gefressen war oder frischer Schnee auf die Körner gefallen war, streute sie neuen aus.
    Aus dem kalten Januar wurde ein frostiger Februar. Wenn die Leute sich nach draußen wagten, dann nur in dicken Schichten wärmender Kleidung: gestrickte Pullover, Daunenmäntel, alte Bomberjacken mit Wollfutter. R.J. trug lange, dicke Unterhosen und eine Wollmütze, die sie sich tief über die Ohren zog. Das schlechte Wetter weckte den Pioniergeist wieder, der

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