Medicus 03 - Die Erben des Medicus
als sei ein Skifahrer mit dem Kopf voran in diesen Haufen gestürzt. Jetzt schmolz der Blickfang zusammen mit dem Schnee. Als Sotheby die durchweichten Kleidungsstücke entfernte, sagte ihm R.J., dies sei das sicherste Zeichen für den Frühlingsbeginn. Eines Abends öffnete sie auf das inzwischen schon vertraute Kratzen hin die Tür, und die Katze kam ins Haus und absolvierte ihren üblichen Inspektionsgang.
»Ach, Agunah, bleib doch diesmal bei mir!« sagte R.J., die sich so einsam fühlte, daß sie sogar ein Tier um Gesellschaft anflehte. Aber Agunah stand bald wieder vor der Tür und verlangte ihre Freiheit. Sie huschte hinaus und ließ R.J. allein. Mit der Zeit freute sie sich sogar über abendliche Anrufe der Notrettung, und sie bot ihre Hilfe gern an, obwohl streng nach Vorschrift die Rettungsmannschaften sie nur rufen sollten, wenn sie mit einer Situation nicht mehr allein zurechtkamen. Der letzte Abend im März brachte auch den letzten Schneesturm. Auf der Landstraße, der Verlängerung der Main Street, schleuderte ein Betrunkener mit seinem »Buick« auf die Gegenfahrbahn und stieß frontal mit einem kleinen Toyota zusammen. Der Toyota-Fahrer prallte gegen das Lenkrad, was zu Rippenbrüchen und der Abtrennung des Brustbeins von den Rippen führte, einem Zustand, den man als Flatterbrust bezeichnet. Bei jedem Atemzug hatte er starke Schmerzen. Schlimmer noch, die abgerissenen Rippen bewegten sich bei der Atmung nicht mehr mit und durchstießen so das Rippenfell. Die Rettungssanitäter konnten für den Verletzten vor Ort nichts anderes tun, als ihm einen kleinen, flachen Sandsack auf das lädierte Brustbein zu binden, ihm Sauerstoff zu geben und ihn so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu schaffen. Als R.J. an der Unfallstelle eintraf, geschah das bereits. Zur Abwechslung hatten diesmal zu viele Rettungssanitäter auf den Notruf reagiert, und auch Toby war da. Die beiden sahen zu, wie die Krankenwagenbesatzung den Mann transportfähig machte, dann aber führte R.J. Toby von den Feuerwehrmännern weg, die Glas und Metall von der Fahrbahn räumten. Sie gingen ein Stückchen die Straße entlang, blieben dann stehen und schauten zu der Unfallstelle zurück. »Ich habe viel über dich nachgedacht«, sagte R.J. Die Nachtluft war kühl, und Toby zitterte leicht in ihrer roten Sanitäterjacke. Das grellgelbe Signallicht des Krankenwagens, das wie ein Leuchtturmfeuer kreiste, erhellte alle paar Sekunden ihr Gesicht. Sie schlang die Arme um den Oberkörper und sah R.J. an.
»Ja?«
»Ja. Es gibt da ein bestimmtes Verfahren, und ich möchte gern, daß du dich dem unterziehst«
»Was für ein Verfahren?«
»Ein Untersuchungsverfahren. Ich will, daß sich jemand mal genau ansieht, was in deinem Becken los ist.«
»Ein chirurgischer Eingriff? Vergiß es! Hör zu, R.J., ich laß mich nicht aufschneiden. Es gibt eben Frauen, die einfach nicht dazu bestimmt sind, Mutter zu werden.«
R.J.lächelte freudlos.
»Das mußt du gerade mir sagen!« Sie schüttelte den Kopf.
»Dazu muß man dich nicht aufschneiden. Heutzutage reichen drei winzige Einstiche im Unterbauch: einen im Nabel und zwei darunter, ungefähr über den Eierstöcken. Man benutzt ein sehr dünnes Faseroptikinstrument mit einer unglaublich empfindlichen Linse, dank der der Arzt alle Einzelheiten sehr genau sehen kann. Wenn nötig, können mit weiteren Spezialinstrumenten auch korrigierende Eingriffe vorgenommen werden - und alles durch diese drei winzigen Einstiche.«
»Müßte ich mich dazu betäuben lassen?«
»Ja. Du bekämst eine Vollnarkose.«
»... Würdest du diese Untersuchung ... wie nennt man sie ...machen?«
»Laparoskopie. Nein. Ich kann das nicht machen. Ich würde dich zu Danny Noyes schicken. Er ist sehr gut.«
»Vergiß es!«
R.J. gestattete sich ein kurzes Aufbrausen. »Aber warum? Du willst doch unbedingt ein Kind.«
»Hör mal, R.J.! Du predigst doch die ganze Zeit, daß Frauen das Recht zusteht, selbst zu entscheiden, was mit ihrem Körper geschieht. Und das ist mein Körper. Und ich habe entschieden, mich nur operieren zu lassen, wenn mein Leben oder meine Gesundheit in Gefahr ist - was jedoch offensichtlich nicht der Fall zu sein scheint. Laß mich also mit dieser Geschichte verdammt noch mal in Frieden, ja? Vielen Dank für deine Fürsorge!«
R.J. nickte. »Nichts zu danken«, entgegnete sie traurig.
Im März hatte sie versucht, ohne Skier oder Schneeschuhe in den Wald hinter ihrem Haus zu gehen, aber es war ihr nicht
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