Medicus 03 - Die Erben des Medicus
und die Kettensäge aus dem Schuppen holte. Sie arbeitete schwer, und ihre Befriedigung glich einem stillen Frohlocken, während sich der Verlauf des Pfades in einer großen Kurve wieder ihrem Haus näherte. In der Luft lag etwas Neues, Mildes. Jeden Tag wurde es ein bißchen später dunkel, und aus den unbefestigten Nebenstraßen waren plötzlich Schlammpfade geworden. Inzwischen kannte R.J. die Umgebung sehr gut, und sie wußte, wann sie bei Hausbesuchen den Explorer stehenlassen und zu Fuß weiterstapfen mußte. Sie brauchte ihre Winde nicht mehr und mußte sich auch von anderen nicht aus dem Schlamm ziehen lassen.
Anfangs bekam R.J. Muskelkater von der schweren Arbeit im Wald, und ihre Glieder schmerzten so, daß sie beim Gehen stöhnte. Aber schon bald wurde ihr Körper abgehärtet, und er gewöhnte sich an die regelmäßige körperliche Betätigung. Da sie die Säge tief ins Geäst hineinschieben mußte, um mit dem Sägeblatt möglichst nah an den Stamm zu kommen, bekam sie Kratzer und Schürfwunden an Armen und Händen. Sie versuchte es mit langen Ärmeln und Handschuhen, aber die Ärmel verfingen sich in den Zweigen, und mit den Handschuhen konnte sie die Säge nicht fest genug packen, und so begnügte sie sich damit, jeden Abend nach dem Baden die Wunden sorgfältig zu desinfizieren. Die Schorfe trug sie wie Auszeichnungen.
Manchmal hielt ein Notfall sie von der Arbeit am Pfad ab, ein Hausbesuch oder eine Fahrt zu einem Patienten im Krankenhaus. Sie wurde knauserig, was ihre Freizeit betraf, und verbrachte jede verfügbare Minute im Wald. Inzwischen war es ein gutes Stück Weg bis zum Ende des Pfads, und jedesmal, wenn sie ein paar Stunden Zeit für die Arbeit fand, wurde er länger. Sie gewöhnte sich an, Ölkännchen und Benzinkanister in gut verschlossenen Plastiksäcken im Wald stehenzulassen. Manchmal fand sie Spuren, die sie beunruhigten. An einer Stelle, wo sie erst am Nachmittag zuvor gearbeitet hatte, fand sie die langen Federn und die weichen Unterdaunen eines Truthahns, der von irgendeinem Raubtier in der Nacht geschlagen worden war, und obwohl sie wußte, daß es töricht war, hoffte sie, daß es nicht einer ihrer Hennen gewesen war. Eines Morgens fand sie auf dem Weg einen riesigen Haufen Bärenkot, der ihr vorkam wie eine Warnung. Sie wußte, daß die Schwarzbären fast den ganzen Winter über schliefen, ohne zu fressen oder sich zu entleeren. Im Frühling fraßen sie sich dann voll, bis es zu einer heftigen Darmbewegung kam, durch die ein harter, dicker Kotpfropfen ausgestoßen wurde. Sie hatte von den Pfropfen gelesen, und jetzt untersuchte sie dieses Exemplar. Seine Dicke ließ auf ein sehr großes Tier schließen, vermutlich handelte es sich um den Bären, dessen Spuren sie im Schnee gefunden hatte. Es war, als hätte der Bär auf den Pfad gekotet, um ihr deutlich zu machen, daß es sich hier um sein Territorium handelte, nicht um ihres. Und nun wurde sie wieder unruhig, wenn sie im Wald arbeitete.
Den ganzen April über trieb sie den Pfad voran, an schwierigen Stellen manchmal nur wenige Meter am Tag, an einfacheren längere Strecken. Schließlich stand sie vor der letzten großen Herausforderung, einem Bach, der überbrückt werden mußte. Es war ein natürlicher Entwässerungsgraben, der das Wasser der Moorwiesen in den Fluß leitete, und er hatte sich im Lauf der Zeit tief in den Waldboden gegraben. David hatte an anderen Stellen des Pfads bereits drei Brücken errichtet, und sie war sich nicht sicher, ob sie die vierte bauen konnte - vielleicht waren dazu mehr Kraft und mehr Erfahrung nötig, als sie besaß.
Eines Tages nach der Arbeit untersuchte sie die Uferböschung des Baches und ging dann zu den Brücken, die David gebaut hatte, um sich die Konstruktion genau anzusehen. Sie erkannte, daß sie mindestens einen ganzen Tag für diese Arbeit brauchen würde, der Brückenbau würde also bis zu ihrem nächsten freien Tag warten müssen. Da sie an diesem Abend nichts mehr ausrichten konnte, beschloß sie, den Rest des Tageslichts zu ihrem Freizeitvergnügen zu nutzen. Der Fluß war noch immer angeschwollen und reißend, und der Wasserstand zu hoch zum Fischen. Nachdem sie sich ihre Angelrute geholt und neben dem Komposthaufen einige Würmer ausgegraben hatte, ging sie deshalb zum größten der Biberteiche und warf dort die Leine aus. Während sie mit einem Auge den Schwimmer beobachtete, bewunderte sie mit dem anderen die Arbeit der Biber, die den Damm vergrößert und dazu eine
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