Medicus von Konstantinopel
erklärte, dass sie sich auf diese Weise an ihre Herrin gewandt hatte.
»Dann geht es dir, wie es mir schon seit längerem geht«, antwortete Maria mitfühlend.
»Ich sehe, wie er auf sein Verderben zuläuft, und es scheint keine Möglichkeit zu geben, ihn daran zu hindern, einfach weiter in die Nacht zu flüchten wie jemand, der unter einem Wahn leidet und seinen eigenen Schatten nicht zu ertragen vermag. Er richtet sich früher oder später zugrunde, Herrin, und diese dunkle Bruderschaft, deren willfähriges Werkzeug er geworden ist, hat ihm längst jeden freien Willen genommen.«
»Ich weiß«, murmelte Maria.
»Es war anzunehmen, dass Ihr ebenso wenig Rat wisst. Aber vielleicht finden wir ja doch eine Möglichkeit, ihn zurückzugewinnen und von seinem Irrweg abzubringen.«
»Ich würde dir gerne sagen, dass ich daran noch glauben könnte«, seufzte Maria. »Spätestens seit dem Tod unserer Eltern hat er sich stark verändert. Wir standen uns früher sehr nahe, doch wenn du mich fragen würdest, was uns jetzt noch verbindet, so wüsste ich kaum etwas zu sagen.«
Seriféa atmete tief durch. »Jedenfalls war es angenehm, mit Euch über diese Dinge zu sprechen. Und womöglich hat es ja auch Euch geholfen.«
»Das hat es.«
»Ist ihm bewusst, dass man ihn der Ketzerei und anderer Verbrechen anklagen könnte, wenn herauskäme, dass er diesem Orden der Cherubim angehört?«
»Das ist ihm so gleichgültig wie das Urteil unserer Freunde und Bekannten oder die Geschäfte unseres Hauses.«
»Ich hörte ihn übrigens mit einigen seiner sogenannten Brüder über Geld reden, Herrin. Das zumindest wollte ich Euch noch berichten, denn ich finde, dass Ihr das wissen solltet!«
Maria merkte auf und hob die Augenbrauen. »Ja, so etwas hatte ich schon vermutet«, gestand sie. »Sag mir noch eins, Seriféa: Hast du mit Davide über diese Angelegenheit geredet?«
»Nicht über die Einzelheiten, über die ich Euch gerade informiert habe«, sagte sie. »Allerdings muss ich gestehen, dass er schon seit einiger Zeit von meiner Verbindung zu Marco weiß.«
»Und er hat sie gebilligt?«
»Nein.«
Maria stutzte. »Aber er hat mir gegenüber nie ein Wort darüber verloren oder mir irgendwie bedeutet, ich sollte meinen Einfluss auf Marco geltend machen, um das zu beenden.«
»Mit mir hat er ein sehr ernstes Gespräch geführt und mir ins Gewissen geredet. Eine Frau, die keine Jungfrau mehr ist, gilt unter Levantinern nicht viel.«
»Nicht nur dort«, gab Maria zurück.
»In unseren Gemeinden legt man ganz besonderen Wert darauf.«
»Es war dir gleichgültig?«
»Euch nicht auch?«
Maria ging darauf nicht weiter ein.
Seriféa senkte den Blick, denn ihr war durchaus klar, dass es ihr eigentlich nicht zustand, so mit ihrer Herrin zu reden. Schließlich sagte sie: »Ich glaube, Davide hat es stillschweigend geduldet, weil er sich dadurch eventuell eine auf Dauer stärkere Verbindung zwischen unseren Familien erhofft hatte. Ausgesprochen hat er das zwar nie, das brauchte er freilich auch nicht. Für mich war es ziemlich offensichtlich.«
Ein Ruck ging durch Maria, und ihr Blick begegnete nun Seriféas ruhigen, dunklen Augen inmitten der feingeschnittenen und jetzt sehr gleichmütig wirkenden Gesichtszüge. Züge, die eine innere Stärke ausstrahlten, um die Maria ihr Gegenüber in diesem Moment sogar ein wenig beneidete.
»Ich danke dir für deine offenen und sehr ehrlichen Worte, Seriféa«, sagte Maria abschließend. »Ich bin froh, dass es jemanden gibt, dem das Wohl meines Bruders ähnlich stark am Herzen liegt wie mir – denn trotz aller Entfremdung hat sich dies nie geändert!«
Achtzehntes Kapitel
Kämme und Kolben
Wolfhart Brookinger betrat in voller Montur den Vorraum. Die Sehschlitze der Schnabelmaske boten nur ein kleines Gesichtsfeld, aber daran hatte er sich längst gewöhnt – ebenso an den penetranten Geruch der Tücher, die er sich um Arme, Beine und den Körper gewickelt hatte. Fackelschein erhellte den Raum.
»Schließt sorgfältig die Tür hinter Euch, Wolfhart. Und verschließt auch den Riegel. Ich will nicht, dass die Zwillinge hereinkommen, gleichgültig, was auch passiert.«
»Das kann ich verstehen.«
»Wenn sie die Ratten nach der Fütterung so richtig gequält haben, sind sie unruhig, sodass es sogar schwierig ist, die langsamen und kranken Tiere zu kämmen.«
Durch die Sehschlitze sah Wolfhart, wie der Meister-Medicus den Kopf mit der Schnabelmaske in seine Richtung drehte. Für einen
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