Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
Vom Netzwerk:
Moment traf der Blick von Fausto Cagliaris eisgrauen Augen mit seinem eigenen zusammen. Ein stechender, durchdringender Blick, der einer eingehenden Prüfung gleichkam. »Wir sind vielleicht an einer entscheidenden Stufe der Erkenntnis«, erklärte Cagliari.
    Das behauptete er allerdings nicht zum ersten und wahrscheinlich auch nicht zum letzten Mal, und auch wenn Wolfhart in der letzten Zeit mehr über die Pest erfahren hatte als zuvor in seinen Jahren des Studiums, so schien doch selbst bei dem großen Medicus in einem Punkt ein gewisser Stillstand eingekehrt zu sein. Es ging um die Frage, welche Substanz das innerste Wesen des Schwarzen Todes enthielt, welche Essenz allein in der Lage war, diese Krankheit auszulösen und zu verbreiten. Doch so groß die Anstrengungen auch gewesen waren, so wenig war man genau in diesem Punkt weitergekommen. Nach wie vor standen verschiedene Stoffe zur Auswahl, die jeder für sich gleichermaßen in der Lage zu sein schienen, den Schwarzen Tod auszulösen. Das jedoch, was diesen Stoffen gemeinsam sein musste, war noch nicht zutage getreten.
    Von Tag zu Tag spürte Wolfhart deutlicher, wie sehr Cagliari dies umtrieb. Der Pestarzt schien es als eine Art persönlicher Niederlage zu empfinden, der Schöpfung dieses Geheimnis bisher nicht entlockt zu haben.
    Wolfhart schob den Riegel vor die äußere der beiden Türen, die zum Rattengewölbe führten.
    In der ersten Zeit hatte er es als sehr anstrengend empfunden, oft mehr als eine ganze Tagesspanne lang die zwar gut verarbeitete, aber letztlich doch sehr unförmige Schutzmontur zu tragen und sich darin zu bewegen. Ein Ritter, der zum ersten Mal eine Turnierrüstung anlegte, musste sich wohl ähnlich fühlen, dachte Wolfhart. Deren Gewicht war zwar viel größer, dafür raubte sie ihrem Träger nicht durch den exzessiven Gebrauch von ätherischen Ölen den Atem.
    »Nehmt eine Fackel von der Wand!«, forderte Cagliari. »Wir werden im Rattengewölbe für mehr Helligkeit sorgen müssen!«
    Während Wolfhart eine der brennenden Fackeln aus ihrer Wandhalterung heraushob, war Cagliari bereits damit beschäftigt, die Riegel der zweiten Tür zu öffnen. Er öffnete sie nicht weiter als unbedingt notwendig und ging in das Halbdunkel, das dahinter herrschte.
    Wolfhart folgte ihm. Ratten stoben am Boden davon. Es roch nach verwesenden Kadavern und nach verdorbenen Speiseresten. Selbst die ätherischen Öle konnten das nicht überdecken. Asseln, Käfer und allerlei anderes kleines Getier kroch über den Boden. Fliegen schwirrten um tote Rattenkörper und bereits von den Käfern ausgeweidete Gewölle.
    Meister Cagliari trug einen geschlossenen Kübel bei sich, dessen Innenseiten mit Pech ausgegossen und einer Schicht aus Pergament ausgeschlagen waren. Ein passgenauer Deckel sorgte dafür, dass dieser Kübel nahezu vollkommen dicht war.
    Wolfhart schloss sofort die Tür hinter sich.
    Mehrere Öllampen leuchteten schwach. Sie waren bereits mehr oder minder heruntergebrannt. Eigentlich wäre es die Aufgabe der Zwillinge, für immer genug Öl in den Lampen zu sorgen, damit man durch das Glasfenster zum Nachbarraum beobachten konnte, wie sich die Ratten verhielten.
    Hier zeigte es sich ein ums andere Mal, dass die Zwillinge geistig stark zurückgeblieben waren und man immer genau kontrollieren musste, ob sie ihre Aufgaben auch mit der nötigen Sorgfalt erfüllten.
    Außer den Öllampen gab es noch mehr als ein Dutzend Fackeln an den Wänden des Gewölbes. Wolfhart entzündete mehrere von ihnen, und es wurde rasch heller. Schatten tanzten an den Mauern. Im Kübel voll Wasser, der den hier gefangen gehaltenen Geschöpfen wohl als Trinkwasservorrat dienen sollte, sah man einen reglosen Rattenkörper treiben.
    An den Wänden suchte jetzt alles Mögliche an lichtscheuem spinnenartigem Getier das Weite.
    Nachdem Wolfhart insgesamt fünf Fackeln entzündet hatte, sagte Cagliari: »Es reicht! Wir wollen die Tiere nicht blenden!«
    Auch wenn Cagliari nicht dieselbe Lust an der Qual anderer Kreaturen eigen war, wie man es bei den Zwillingen feststellen konnte, so blitzte doch bisweilen – zumindest in seinen spöttischen Bemerkungen – ein ganz ähnlicher Wesenszug auf.
    »Sorgt dafür, dass Ihr Eure Hände frei habt, Wolfhart!«
    »Einen Augenblick!«
    Wolfhart steckte die letzte der brennenden Fackeln in einen Eisenring, der in die Wand eingelassen war. Daraufhin reichte ihm Cagliari einen Kamm. Er war viel kleiner als jene, die die Damen bei Hof benutzten, um

Weitere Kostenlose Bücher